Die Rache der Liebe
schlagartig ernst. »Erzähl!«
»An dem Tag, als ich in meine eigene Halle umgezogen bin, habe ich hier einen Mann bemerkt, der mir bekannt vorkam, obgleich ich mich nicht erinnern konnte, wo oder wann ich ihn schon einmal gesehen haben könnte. Kristen erklärte, bei dem Mann handle es sich um Lord Durwyn, doch der Name sagte mir absolut nichts.«
Royce nickte. »Er lebt nicht in unserer Nähe, aber ich kenne ihn schon viele Jahre. Durwyn und seine Gemahlin pflegten engen Kontakt zum Königshof, bis die Frau vor sieben oder acht Jahren gestorben ist. Durwyn hat sich anschließend auf sein Landgut zurückgezogen, seinen Sohn Edred aber am Hof gelassen. Soweit ich mich entsinne, kam der Sohn bei der letzten Schlacht gegen die Dänen ums Leben, bei der Schlacht also, in der auch du verwundet wurdest. Edred sah seinem Vater sehr ähnlich. Vielleicht hat Lord Durwyn dich an ihn erinnert.«
»Nay, ich meinte den Lord, und ich weiß auch, woher ich ihn kenne. Er war bei dem Überfall dabei, Royce. Kurz bevor ich den Schlag auf den Hinterkopf erhielt, habe ich gesehen, wie Lord Durwyn den alten Bischof, den wir begleiteten, erschlagen hat.«
»Das muss ein Irrtum sein! «
»Nay. Ich habe heute nacht von dem Überfall geträumt. Mein Traum hat mir den Tag wieder deutlich in Erinnerung gebracht, und auch Lord Durwyns Anteil daran. Er war der einzige, den ich damals wirklich gut sehen konnte. Ich weiß sogar noch, wie mir auffiel, dass er besser gekleidet war, als man es von einem Strauchdieb gemeinhin erwartet.«
Erregt strich sich Royce durch sein dunkles Haar. »Gütiger Himmel, weißt du denn, was das bedeutet?«
»Aye. Es bedeutet, dass es sich nicht um gewöhnliche Strauchdiebe handelte, denen an jenem Tag zufällig eine Gruppe vorbeireitender Männer in die Hände fiel. Es war ein geplanter Anschlag gegen die Truppe des Königs, und zwar mit dem Ziel, unsere Mission zu vereiteln. Ich will nur eines von dir wissen: Wann wirst du das dem König erzählen - bevor oder nachdem ich den Mann getötet habe?«
Trotz des ernsten Themas kräuselten sich Royces Lippen zu einem Grinsen. » I ch bezweifle, dass du dazu Gelegenheit bekommen wirst. Alfred wird sich der Sache selbst annehmen wollen. Aber sei versichert - wenn du recht hast, wird Durwyn hängen.«
»Ich wäre fast gestorben, Royce! Und den Schmerz, den ich wochenlang ertragen muss te, werde ich nie mehr vergessen! Ich brauche zumindest die Genugtuung, den dafür verantwortlichen Mann zum Zweikampf zu fordern.«
»Aye, und dasselbe wird dein Vater wollen und deine Mutter und natürlich auch mein Eheweib. Für dich, mein Freund, mag es befriedigend sein, die Angelegenheit auf Wikinger-Art zu erledigen. Doch du lebst nun mal in Wessex, und Alfred hat strenge Gesetze, also über lass es lieber ihm, sich darum zu kümmern. Nicht zuletzt war das Verbrechen gegen ihn gerichtet.«
Selig murmelte irgendetwas Unverständliches, was nicht gerade wie eine Zustimmung klang, wiewohl Royce es der Einfachheit halber als eine solche deutete und fortfuhr: »Mir ist Alfreds Wegstrecke bekannt. Er hat zwar geplant, auf dem Rückweg nach Chippenham noch einmal bei uns haltzumachen, doch die Sache kann meiner Ansicht nach nicht bis dahin aufgeschoben werden.«
Selig nickte. Die Anspannung, die ihn so eilends nach Wyndhurst getrieben hatte, fiel von ihm ab, wenngleich nicht völlig. Allerdings ärgerte es ihn maßlos, dass der Fall bereits erledigt sein könnte, wenn ihm Lord Durwyns Rolle bei dem Überfall schon an jenem Tag, als er ihn auf Wyndhurst gesehen hatte, bewußt geworden wäre. Aber alles über jene qualvolle Zeit war aus seinem Gedächtnis getilgt gewesen - alles, bis auf die Schmerzen und Erikas Anteil daran. Er wünschte, diese Erinnerung würde ebenfalls vergehen.
An der Tür blieb Royce noch einmal stehen und sagte: »Du kannst in der Zwischenzeit ebenso gut hierbleiben. Alfred reist manchmal schnell, manchmal weniger schnell. Auch wenn es nicht sehr wahrscheinlich ist, so besteht doch die Möglichkeit, dass er bereits morgen früh hier eintrifft, und dann wird er dich unverzüglich sehen wollen.«
»Gut.«
»Geh wieder schlafen. Nachdem ich den Boten losgeschickt habe, werde ich das ebenfalls tun.«
Während des gesamten Gesprächs war Erika geduldig dabeigesessen, obwohl sie kein einziges Wort verstanden hatte. Wäre sie absichtlich ausgeschlossen worden, hätte sie sich geärgert, aber sie wußte, dass sich Selig und Royce nur auf keltisch unterhalten
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