Die Rache der Liebe
meinte, sie würde nun auf der Stelle getötet werden. Trotz der Umklammerung der Frau hatte Erika einen Blick auf Selig werfen können, der sich in einem wahrlich erbärmlichen Zustand befand. Aber seine Worte waren klar gewesen, und sie ließen keinen Zweifel: Er fürchtete sie, und diese Vorstellung erschreckte sie ebenso wie seine Schwester.
Doch Kristen unterdrückte jedweden Impuls, den sie gehabt haben mochte, und wandte sich Ivarr zu. »Nimm sie zu dir aufs Pferd.«
Ivarr hatte Seligs Worte nicht gehört. »Nay, ich würde sie erwürgen«, stieß er mit so viel Verachtung hervor, dass Kristen schon erwartete, er würde die Frau anspucken.
Also ließ sie den Blick zu Thorolf schweifen, doch ehe sie ihn überhaupt fragen konnte, sagte er: »Soll sie doch zu Fuß gehen. «
»Und unseren Heimritt verlangsamen?«
Kristen schnaubte vor Entrüstung. Diese starrköpfigen Wikinger! Sie waren in ihrem Stolz verletzt, weil es eine Frau gewesen war, die Selig so zugerichtet hatte. Wäre es ein Mann gewesen, hätten sie ihn einfach getötet. Hätte auch sie ihn einfach getötet und es auf eine Schlacht ankommen lassen, um sich den Weg freizukämpfen. Doch in Gegenwart dieser Dänin wollte sie nicht mit ihren Männern herumstreiten.
»Dann nimm mein Pferd, Thorolf«, sagte sie wütend. »Und du, Ivarr, begleitest den Wagen, bis wir die anderen erreicht haben. « Sie zog Erika hinter sich in den Wagen und sagte, ohne ihren Bruder dabei anzusehen, in scharfem Ton: »Kein Wort mehr, Selig. Solange ich hier bin, wird sie dir nichts tun. «
Kristen schleifte Erika bis zum vorderen Teil des Wagens, was nicht einfach war, da man Selig auf einen Strohsack gebettet hatte, der mehr als die Hälfte des Platzes beanspruchte. Unter mühsamen Verrenkungen gelang es ihr dann, die Schutzplane bis zu ihnen hinüberzuziehen, damit nicht sofort zu sehen wäre, dass ihr Dolch nicht länger an Erikas Hals weilte. Doch bevor sie sich dann setzte und Seligs Kopf auf ihren Schoß legte, zerrte sie den Kragen von Erikas Gewand nach hinten, stach ihren Dolch hindurch und nagelte Erika damit an den Wagenboden. Mit nach vorne gesenktem Kopf lag Erika nun unbeweglich neben Selig am Boden, während der Dolch weiterhin in Kristens Reichweite blieb.
Für Erika war das nicht gerade eine bequeme Stellung. Der Halsausschnitt ihres Kleides würgte sie, doch sobald sie versuchte, sich etwas Luft zu verschaffen, berührte ihre Schulter die scharfe Klinge des Dolches. Aber besser so, als den Dolch an ihrem Hals, überlegte sie - bis sie zufällig den Kopf etwas zur Seite drehte und Seligs Blick auffing.
Der Abscheu, der ihr aus diesen hellen grauen Augen entgegenschlug, ließ sie erbeben. Und gleichzeitig erfasste sie das dringende Verlangen, den Dolch, der sie festhielt, zu ergreifen, ihn herauszuziehen und loszurennen. Doch sie zweifelte, ob sie den Dolch rasch genug herausreißen könnte, da ihre gebeugte Haltung ein genaues Zugreifen verhinderte, und sie war auch nicht erpicht darauf zu erfahren, was passieren würde, wenn der Versuch danebenginge. Im Moment war keine Rettung in Sicht. Diese Leute hatten keinerlei Grund, sie am Leben zu lassen, am wenigsten die wilde Norwegerin, deren Hand nun zärtlich auf der Wange ihres Bruders ruhte.
Als sich der Wagen in Bewegung setzte, konnte Kristen durch das noch immer geöffnete Wagenende hindurch das Tor und die dänischen Wachmänner erkennen. Und so wurde sie nun auch Zeugin, als einem dieser Männer von dem riesenhaften Wikinger das Genick gebrochen wurde.
Die Mühelosigkeit, mit d er die Tat verübt wurde, ließ Kristen erschaudern, obwohl sie dieses Gefühl rasch wieder abschüttelte. Sie hatte sich schon gedacht, dass ein Mann von Turgeis' Ausmaßen über eine unglaubliche Kraft verfügen muss te. Eine Demonstration dieser Stärke war gar nicht notwendig gewesen. Außerdem hatte sie keinen Grund, ihn zu fürchten. Solange sie seine Lady festhielten, konnten sie ihn in Schach halten. Sie war nicht so töricht, ihn als ungefährlich einzustufen, aber sie war auch nicht willens, sich von seiner unausgesprochenen Drohung, ihnen auf der Spur zu bleiben, provozieren zu lassen.
Dennoch blieb eine leise Neugierde in ihr wach, die zu stillen Kristen sich nicht verwehrte. »Welche Veranlassung hatte der Riese, einen deiner eigenen Männer zu töten?«
Innerlich aufstöhnend, schloss Erika die Augen. Die Frau muss te, auf Wulnoth anspielen. Turgeis tötete niemanden grundlos.
»Wenn er ihn getötet hat,
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