Die Rache der Liebe
dann wegen der Qualen, die ich ertragen muss , ehe er mich wieder zurückhat. Wahrscheinlich macht er diesen Mann für das, was heute geschehen ist, verantwortlich.«
»Und wen trifft deiner Ansicht nach die Schuld?« wurde sie mit vernichtendem Hohn gefragt.
»Mich selbst«, gestand Erika bedauerlicherweise. »De m stimmen wir zu«, erwiderte Kristen.
»Sehr sogar.«
Diese beiden gewisperten Worte kamen von dem Mann neben Erika, und obwohl sie es sich versagte, ihn noch einmal anzuschauen, konnte sie sich den Abscheu vorstellen, der jetzt womöglich noch stärker in seinen Augen glühte. Turgeis hatte zu Recht angenommen, dass ihr ein Leidensweg bevorstünde. Selig, der Gesegnete, würde dafür sorgen.
12
Als sie mit dem Wagen wieder bei der restlichen Truppe angelangt waren, hielten sie nur so lange an, bis Kristen in knappen Sätzen erklärt hatte, was geschehen war, und einen Wagenlenker bestimmt hatte. Sie würden Ostanglia nun später als geplant verlassen, da der Wagen ihr Vorwärtskommen deutlich verlangsamte. Aber wenigstens war ein kräftiges Pferd vor das Fuhrwerk gespannt worden und kein schwerfälliger Ochse, der sie noch mehr aufgehalten hätte.
Kristen blieb bei Selig, und so war sie gezwungen, die Dänin ebenfalls bei sich zu behalten, da sie die Frau nicht aus den Augen lassen wollte, solange sie sich noch in der Nähe von Gronwood aufhielten. Falls man ihre Warnung ignorieren und eine Armee auf ihre Fährte setzen sollte, war Lady Erika ihr einziges Druckmittel. Bis sie sicher in Wessex angekommen wären, würde sie die Frau mit Argusaugen bewachen.
Auch Selig war über die Nähe der Dänin sicher nicht sonderlich erbaut, doch er hatte sich nicht mehr dazu geäußert und war außerdem schon nach kurzer Zeit durch das gleichmäßige Schaukeln des Wagens eingeschlafen. Kristen wäre es lieber gewesen, er hätte ihr zuvor noch mitgeteilt, was genau ihm fehlte, aber sie weckte ihn nicht auf. So wenig sie auch von der Heilkunde verstand, wußte sie doch, dass Schlaf für einen Kranken das Beste war.
Sie hatte zwei Männer zu einem Dorf vorausgeschickt, das sie heute früh, kurz vor der Morgendämmerung, passiert hatten. Die Männer sollten dafür sorgen, dass ein Berg von Essen bereitstand und eine Heilerin zur Stelle war. Die restliche Truppe würde erst bei Einbruch der Nacht dort eintreffen und dann in der Nähe das Lager aufschlagen.
Weiter konnte Kristen nicht vorausplanen. Sie fühlte sich vor Erschöpfung derart benommen, dass sie schon fürchtete, nicht mehr klar denken zu können. Schon jetzt sah sie der Reaktion ihres Gemahls mit Schrecken entgegen; er würde nicht so sehr deshalb toben, weil sie zur Befreiung ihres Bruders aufgebrochen war, sondern weil sie die Dänin als Gefangene mitbrachte. Royce hasst e die Dänen, aber er führte keinen Krieg gegen Frauen. Und das war auch nicht Seligs Art. Was, um alles in der Welt, mochte die Frau ihm angetan haben, dass es ihn derart nach Rache dürstete?
Sie war zu müde, um darüber nachzugrübeln, und Selig würde es ihr noch früh genug mitteilen. Das gemächliche Schaukeln des Wagens übte auch auf sie seine Wirkung aus. Sie konnte die Augen kaum noch offenhalten. Aber noch immer war sie klar genug, um zu wissen, dass sie ihre Gefangene besser sichern muss te, ehe sie ihrer Erschöpfung nachgab.
Anders als ihre beiden Mitreisenden war Erika hellwach vor Angst und Selbstvorwürfen. Und so entging ihr auch nicht, wie plötzlich der Dolch entfernt wurde, und sie miss verstand auch nicht das Geräusch hinter ihr: das Geräusch von Stoff, der zerrissen wurde. Die barsche Aufforderung, sich aufzusetzen und die Hände zum Fesseln hinter den Rücken zu legen, kam gleichfalls nicht unerwartet.
Dennoch muss te sie dagegen protestieren. »Das ist nicht nötig, Lady Kristen. Du führst doch eine ganze Armee mit dir.«
»Halt den Mund!« erfolgte die leise gezischte Antwort. »Bis ich dich Selig übergebe, damit er mit dir nach Belieben verfährt, bin ich für dich verantwortlich. Spar dir jeden Gedanken an eine Flucht, Erika. Du wirst keine Gelegenheit dazu finden.«
Dass nun auf ihren Titel und ihren Stand kein Wert mehr gelegt wurde, war äußerst aufschlussreich . Allerdings hatte Erika sowieso nicht angenommen, dass man sie mit der ihr geziemenden Höflichkeit behandeln würde. Schließlich war sie nicht zufällig gefunden und als Geisel mitgenommen worden, um Lösegeld zu erpressen. Man hatte sie einzig mitgenommen, um Rache an ihr
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