Die Rache der Liebe
ihrem Zorn die Peitsche angeordnet, und er hatte sie erhalten -ein verletzter Mann, ein Mann, der bereits unter großen Schmerzen litt, ein Mann, der vom Fieber und, Odin weiß, was noch alles, befallen war.
Er hatte zu ihr gesagt: »Du und ich sind keine Feinde, könnten nie Feinde sein.«
Aber Erika wußte, dass dies nun nicht mehr der Fall war. Er war nach Gronwood gekommen, um Hilfe zu finden, und war statt dessen ins Loch geworfen und angekettet worden. Er hatte die Wahrheit gesprochen, aber niemand hatte ihm geglaubt. Schlimmer noch, sie hatte seine Verletzung mit der Peitsche behandeln lassen!
Ihre Schuld war so groß, dass sie beinahe daran erstickte. Hätte sie nicht solche Angst, könnte sie sich seiner Rache fast schon freudig unterwerfen. Aber sie hatte Angst, und deshalb konnte sie nur auf irgendeine andere Art Abbitte leisten, falls man ihr dazu überhaupt Gelegenheit geben würde. Allerdings konnte sie sich nichts vorstellen, womit sie ihr grausames Verhalten wiedergutmachen könnte.
Erika war so tief in ihre Schuld und ihr Elend versunken, dass sie gar nicht merkte, wie die Zeit verging. Erst als der Wagen plötzlich anhielt, wurde sie aus ihren Grübeleien gerissen. Auch Kristen wachte davon auf.
»Großer Gott!« Aus tiefster Seele stöhnend, blickte Kristen auf ihren Bruder hinab. »Ich hatte schon gehofft, es sei nur ein Traum! «
Erika hätte sich das auch gewünscht, sprach es aber nicht aus, sondern sagte stattdessen : »Er muss etwas essen. Falls er in Gronwood wirklich Fieber gehabt hat, ist er von unserer Heilerin mit Purgantia behandelt worden. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass er schon seit mehreren Tagen nichts mehr zu sich genommen hat.«
Die lohfarbenen Brauen finster gerunzelt, wandte sich Kristen ihr zu. »Erzähl du mir nicht, was mein Bruder braucht! Du kennst ihn nicht, sonst würdest du sofort sehen, dass er seit zwei Wochen kaum etwas oder gar nichts zu essen bekommen hat. Er besteht nur noch aus Haut und Knochen.«
Das wurde ja immer schlimmer. Er war bereits halb verhungert in Gronwood angekommen, und da Erika ihn einfach seinem Schicksal überlassen hatte, war ihr entgangen, dass ihn Elfwina mit ihren Mittelchen noch mehr schwächte.
»Du wirst mir vermutlich nicht glauben, aber es tut mir wirklich leid«, war alles, was Erika im Moment zu sagen einfiel.
»Davon bin ich überzeugt -jetzt tut es dir leid! Aber wo war dein Mitgefühl, als mein Bruder es brauchte? «
Weggeschwemmt von ihrer Wut. Untergegangen in der Verwirrung über ihre eigene Reaktion. Dennoch hatte sie, als er erstmals seine Verletzung erwähnt hatte, Mitgefühl empfunden, wenn auch nur ganz kurz, und gleichzeitig eine tiefe Besorgnis, die für einen Mann, den sie gar nicht kannte, völlig unangemessen war. Einen Mann mit dem Gesicht eines Engels. Dann hatte Wulnoth seine Verletzung verleugnet und Erika glauben lassen, Selig habe gelogen schon wieder gelogen.
Aber Erika sprach diese Gedanken nicht aus und hatte auch gleich keine weitere Gelegenheit mehr zu reden, da plötzlich die Plane zurückgerissen wurde und mehrere Männer am Wagenende auftauchten. Einen erkannte sie wieder, einen blonden, blauäugigen Mann, der gesagt hatte, sie solle zu Fuß bis nach Wessex laufen.
»Ivarr bringt gleich das Essen, Kris«, sagte Thorolf, den Blick auf Selig und besonders auf dessen eingesunkenen Bauch gerichtet. »Bei Thors Zähnen, es wird ganzer Kübel voll Nahrung bedürfen, um dieses Loch zu füllen! «
»Mehr als das, fürchte ich«, erwiderte Kristen.
Ihre Stimmen weckten Selig auf, er bewegte sich etwas, und das darauf folgende tiefe Stöhnen ließ alle zusammenzucken. Allerdings störte es Kristen ungemein, dass Erika es ebenfalls gehört hatte. Selig würde nicht wollen, dass die Frau, die er verabscheute, ihn in so einem Zustand erlebte. Kristen durfte das nicht zulassen.
Also sagte sie in einem gereizteren Ton als beabsichtigt: »Schaff sie hier raus, Thorolf. Vielleicht hat sie ein dringendes Bedürfnis zu erledigen oder sonst was , aber bring sie von hier weg. Von mir aus kannst du ihr die Fesseln lösen, aber lass sie dann keinen Moment aus den Augen. Wenn ich Selig versorgt habe, werde ich sie zurückholen. «
Erika keuchte auf, als Thorolfs langer Arm einfach nach ihr griff und sie aus dem Wagen zog. Er löste tatsächlich ihre Fesseln, aber nur, damit er sie nicht zu tragen brauchte, und teilte ihr unverblümt mit: Ach würde dich nicht gern anfassen, also gib mir keinen Grund
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