Die Rache der Liebe
die Sonne war gnädig mit ihr verfahren und hatte ihren goldenen Teint, den sie im Verlauf des Sommers erworben hatte, nur eine Spur dunkler getönt.
Ungläubig muss te sie sich eingestehen, dass sie recht hübsch aussah. Es muss te an dem warmen Licht der Kerzen liegen, denn bei Einbruch der Dämmerung war ein Dienstmädchen herein gehuscht und hatte die zahlreichen Wachskerzen entzündet. Kerzenlicht war sehr schmeichelhaft ...
»Du hast wohl etwas anderes erwartet?«
Dieser verdammte Wikinger konnte wahrhaftig Gedanken lesen! »Nay, ich ... «
»Gib mir noch etwas Zeit, Weib!« unterbrach er sie. In seinem Ton schwang eindeutig Belustigung mit. Ach werde schon für Spuren von Leid in deinem Gesicht sorgen!«
»Gemeiner Kerl!« keuchte sie wütend.
Sie begann, den Kamm wie wild durch ihre Haare zu ziehen. Vor Schmerz schossen ihr die Tränen in die Augen, so dass sie sich zur Ruhe zwang und den Kamm mit mehr Vorsicht gebrauchte.
Beide hatten sie bereits gegessen. Die Speisen, die man ihr gebracht hatte, waren nicht gerade das, was man für eine Gefangene erwartet hätte, sondern waren vielmehr überraschend reichhaltig und überaus wohlschmeckend gewesen. Die Innenseite ihrer Wange war noch immer entzündet, aber bereits genügend abgeheilt, um ihr das Kauen zu ermöglichen. Allerdings hätte sie ihr Mahl weit mehr genießen können, wenn sie nicht unfreiwillig dem Liebesgetändel, das sich währenddessen abspielte, hätte lauschen und zuschauen müssen.
Das Mädchen Edith hatte die Speisen gebracht und sich dann hingebungsvoll der Aufgabe gewidmet, Selig zu küssen und zu liebkosen, statt ihn ordentlich zu füttern. Schamlose Schlampe, eine gute Stunde hatte sie damit verbracht! Und er hatte jeden einzelnen Moment genossen, mehr Charme und Sex verströmt, als Erika es je bei einem Mann erlebt hatte. Ganz offensichtlich waren die beiden gut »bekannt«, und genauso offensichtlich würden sie ihre Bekanntschaft wieder vollends auffrischen, sobald Selig genesen wäre.
Trotz der vorgerückten Stunde war noch niemand gekommen, um die Kerzen zu löschen oder Erika für die Nacht zu fesseln. Aus dem Zuber war das Wasser geleert worden. Lady Brenna hatte noch einmal hereingeschaut, um sicherzustellen, dass Selig die von der Heilerin verordneten Mittel einnahm. Lady Kristen hatte lediglich den Kopf zur Tür hereingestreckt und gefragt, ob ihr Bruder noch etwas benötige. Am meisten Unruhe hatte der Besuch von Seligs Vater und Brüdern verursacht.
Die drei Männer hatten mit ihrer Größe und Breite den ganzen Raum ausgefüllt. Während ihres Besuchs hatte ein jeder von ihnen Erika mehrmals stumm gemustert, niemand hatte sie jedoch angesprochen oder Selig nach ihr gefragt. Vermutlich hatten sie von Kristen bereits alles Wissenswerte erfahren, zumindest deren Version des Geschehens. Erika spürte bei den Männern eine gewisse Neugierde sowie Abneigung, Verblüffung und Wut, aber überraschenderweise keinen wirklichen Haß. Wahrscheinlich konnten sie ihn besser verbergen als Selig.
Eric und Thorall, die jüngeren Brüder, waren nicht so attraktiv wie Selig, aber dennoch überaus gutaussehende junge Männer. Sie waren beide um die zwanzig, Eric womöglich ein paar Jahre älter, und beide hatten sie, wie ihre Schwester, vom Vater die lohfarbene Mähne, die blaugrünen Augen und die enorme Größe geerbt.
Erika versuchte, ihre Anwesenheit zu ignorieren, aber das war nahezu unmöglich, vor allem aufgrund von Seligs verändertem Verhalten. Im Kreise seiner Familie erschien er ihr wie ein anderer Mann, ein Mann, der lachte und scherzte und neckte. Dies, zusammen mit dem sinnlichen Zauber, den er zuvor bei der hübschen Edith versprüht hatte, führte bei Erika dazu, ihre Meinung über ihn in gewisser Weise zu revidieren.
Sein Charakter verfügte über weitaus mehr Facetten, als sie bisher angenommen hatte, obwohl ihr diese Feststellung auch nicht weiterhalf. Es war eher beunruhigend, dass ein derart freundlicher, fröhlicher Mann gleichzeitig einen so tief verwurzelten Hang zur Grausamkeit besaß.
Sie war mit dem Kämmen fertig. Selig hatte sie währenddessen unentwegt beobachtet. Im Verlauf des Abends hatte sie ihn allerdings mehrfach dabei ertappt, wie er, tief in Gedanken versunken, vor sich hingestarrt hatte. Erst als sie mit dem Kämmen begonnen hatte, war sein Blick zu ihr gewandert. Und er ruhte noch immer auf ihr, still und ohne jeden Ausdruck, so dass sie unmöglich hätte sagen können, woran er
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