Die Rache der Liebe
besondere Folter, sondern ein endloses Martyrium. Jetzt hatte sie endlich erfahren, was er vorhatte, wie ihr Schicksal aussah. Er wollte keine gewöhnliche Rache. Das wäre viel zu simpel. Er wollte sie immer weiter beschämen und erniedrigen, bis ihr Stolz nur mehr ein leeres Wort war. Erika hätte körperliche Qualen vorgezogen, aber sie hatte ja keine Wahl. Er hatte sich nun mal entschlossen - obwohl, nay, sie würde sich davon nicht unterkriegen lassen! Er konnte sie demütigen, aber ihren Stolz würde sie nicht aufgeben. Niemals! Irgendwie würde sie ihn sich erhalten.
Er ging die Treppe weiter nach unten. Obwohl es ihr schwerfiel, blieb Erika so dicht hinter ihm, dass jeder annehmen muss te, sie folge ihm freiwillig - denn dadurch würde seine Absicht, sie an der »Leine« zu ziehen, lächerlich erscheinen.
Sobald man ihrer freilich in der Halle ansichtig wurde, schoss Erika die Schamröte ins Gesicht. Aber ihren Kopf hielt sie weiterhin stolz erhoben. Und sie schaute jedem einzelnen Menschen in der Halle, ob Mann oder Frau, fest in die Augen, einschließlich den Mitgliedern seiner Familie, die an einem Tisch neben einem riesigen Alefaß saßen.
Auf Lady Brennas Miene spiegelte sich Fassungslosigkeit. Kristen wirkte, als stünde sie kurz vor einem Tobsuchtsanfall. Lord Royce schien amüsiert. Und Seligs Vater zeigte gar keinen Ausdruck - wie immer, wenn er Erikas ansichtig wurde.
Auch alle anderen Anwesenden in der Halle standen wie erstarrt und schauten ihnen entgegen. Erika tröstete sich damit, dass man sie neben dem strahlend schönen Selig wahrscheinlich gar nicht wahrnehmen würde, vor allem nicht in der unscheinbaren Dienstbotenkleidung, die man ihr gegeben hatte. Das stumpfgraue Untergewand war um etliches zu kurz und enthüllte die Schellen um ihre Fußknöchel. Außerdem war es für ihre großen Brüste viel zu eng, obwohl man das wegen des braunen Überkleids, das wiederum viel zu weit und um die Taille mit einem Strick zusammengerafft war, nicht erkennen konnte.
Selig führte sie geradewegs zu dem Tisch, an dem seine Familie wartete. Alle saßen, mit Ausnahme von Garrick, der, einen Fuß auf der Bank und die Ellbogen auf den Oberschenkel gestützt, dastand. Selig verhielt sich so ungezwungen, als sei er nur rasch weggewesen und kehre nun wieder zurück. Lässig nahm er auf der Bank gegenüber seiner Familie Platz, und da Erika keine anderslautende Anweisung erhalten hatte, blieb sie steif hinter ihm stehen.
Sobald Selig sich hingesetzt hatte, sprang Kristen auf. Vermutlich deshalb, weil der finstere Blick, mit dem sie ihn bedachte, von oben sehr viel wirkungsvoller war. »Das ist unerträglich, Selig! « begann sie.
»Keine Frage nach meiner Gesundheit, Schwester?«
Sie sah tatsächlich so aus, als würde sie das, was sie hatte hinzufügen wollen, gewaltsam hinunterschlucken, und sagte nun statt dessen, indem sie jedes einzelne Wort grimmig betonte: »Sind deine Schmerzen nun vorbei?«
»Fast.«
Kristen schlug mit der Hand auf den Tisch und beugte sich zu ihrem Bruder hinunter. »Dann wiederhole ich: Das ist unerträglich! Und frage jetzt bloß nicht, was, du hirnloser Flegel, denn du weißt ganz genau, was ich meine! Willst du denn, dass der König auf sie aufmerksam wird?«
Selig zuckte gleichgültig die Achseln. »Der Anblick eines Sklaven in Ketten ist nichts Ungewöhnliches. «
Bei diesen Worten zuckte Erika zurück und begab sich dann etwas abseits, um nicht weiter zuhören zu müssen. Doch Seligs Antwort erfolgte sowieso auf keltisch, auf das nun auch Kristen überwechselte. Da Erika nichts mehr verstand, schenkte sie den beiden keine Beachtung mehr.
»Handelt es sich um einen männlichen Sklaven, magst du recht haben«, stimmte Kristen ihrem Bruder zu. »Aber die letzte weibliche Person, die man hier in Ketten gelegt hat, bin ich gewesen. Aber selbst wenn Alfred sie nicht beachten würde, wie sollte man sie davon abhalten, ihn um Hilfe zu bitten? Und denke nicht, dass er einer Dänin nicht zuhören würde. Einer Dänin würde er sogar besonders gut zuhören!«
Eifrig mischte sich nun Royce in die Debatte ein. Da Kristen ihm die Tracht Prügel noch nicht wirklich vergeben und ihm in letzter Zeit öfter die kalte Schulter gezeigt hatte, als seine leidenschaftliche Natur es ertragen konnte, schien es ihm ratsam, nun ihre Partei zu ergreifen. Dass ihre Argumentation hieb- und stichfest war, spielte dabei eher eine Nebenrolle.
»Sie hat recht«, wandte er sich an seinen Schwager.
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