Die Rache der Liebe
seiner Abwesenheit keinerlei Risiken eingehen.
Im Grunde fand Erika seine Befürchtungen recht amüsant. Anscheinend glaubte er, sie würde sich aus lauter Verzweiflung aus dem Fenster stürzen und das Genick brechen. Oder versuchen, sich in dem Zuber mit schmutzigem Badewasser zu ertränken. Der Zuber war nämlich nicht ausgeleert worden, da die Dienstboten vollauf mit den königlichen Gästen beschäftigt waren. Und was wiederum diese königlichen Gäste betraf .. .
Dreimal waren angelsächsische Hofdamen - Erika hatte es an ihren Stimmen gehört - gekommen und hatten an Seligs Tür geklopft. Eine jede war auf der Suche nach Selig gewesen, der wohl vorübergehend die Halle verlassen haben muss te und von den Ladys in seinem Gemach vermutet wurde. Erika fragte sich, wie oft er wohl diverse Hofdamen in seinem Gemach empfangen haben mochte, wenn diese drei so selbstverständlich an seine Tür kamen. Und wo er sich ihnen wohl jetzt widmen mochte, da sein Gemach und zweifellos auch alle anderen Räume belegt waren.
Eda brachte ihr weiterhin das Essen. Da die alte Dienstmagd ebensowenig wie Erika die Kraft hatte, die Kette von der Wand abzuhaken, hatte sie Erika einen Nachttopf beschafft. Mittlerweile erntete Erika von Eda keine miss billigenden Blicke mehr; jetzt drückte ihre Miene eher Mitleid aus, worüber Erika nicht unbedingt erleichtert war.
Ganz bestimmt würde sie aus dieser Zwangslage befreit werden. Es war nur eine Frage der Zeit. Und solange sie sich nicht vor Selbstmitleid verzehrte, wollte sie auch kein Mitleid von anderen.
Gestern hatte Eda angeregt vom König und seinem Gefolge erzählt. Es war im Grunde ein Selbstgespräch gewesen, und Erika hatte sich auch jeden Kommentars enthalten. Eda zufolge war der König nur mit kleinem Gefolge unterwegs und würde vermutlich in wenigen Tagen wieder abreisen - eine Nachricht, über die sich Erika nicht freuen konnte.
Doch heute schwatzte Eda nicht nur einfach vor sich hin. Heute wurde sie zum ersten Mal persönlich und überraschte Erika mit der Bemerkung: »Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr du mich an meine Kristen erinnerst - nur war die eine Kämpferin.«
Angesichts dieser Feststellung konnte Erika nicht länger schweigen. »Und das bin ich deiner Meinung nach nicht?«
»Du beschwerst dich nicht, Lady. Du lässt diesem Schlingel einfach freie Hand.«
Fassungslos starrte Erika die Alte an. Ach sehe keine Möglichkeit, ihn zu hindern.«
»Nay? Mein Lord Royce war ein weitaus härterer Mann. Er hatte seine halbe Familie durch die Wikinger verloren. Aber Kristen hat sein Herz erweicht. Sie hat ihn sogar dazu gebracht, ihre Ketten zu lösen, weil sie ihm einfach klar gemacht hat, wie sehr sie diese Ketten hasst e. Weiß Selig, dass du deine Ketten hasst , oder lässt du ihn in dem Glauben, sie seien dir gleichgültig?«
Genau das hatte Erika vor, und so wandte sie nun zu ihrer Verteidigung ein: »Selig will sich an mir rächen. Es würde ihn freuen, wenn er wüsste , wie sehr ich unter den Ketten leide.«
Eda schnaubte. »Rache ist für diesen jungen Mann etwas Ungewohntes. Ich bezweifle, dass er weiß, was er will. Der Mann, mit dem du dich im Krieg befindest, ist ein Frauenliebling. Und er wiederum liebt die Frauen, will sie glücklich sehen. Sie zu verletzen ist ihm völlig fremd. Und falls er denken sollte, dass er dir tatsächlich weh tut, so frage ich mich, wie lange er das noch durchhält.«
Nachdem Eda gegangen war, sann Erika lange Zeit über ihre Worte nach. Frauen weh zu tun mochte für Selig zwar fremd sein, aber er lernte rasch genug, um damit vertraut zu werden - nay, das war ungerecht. Er hatte Erika kein einziges Mal körperliche Schmerzen zugefügt. Die paar wundgescheuerten Stellen, die sie selbst verursacht hatte, zählten nicht. Und auch nicht die blutigen Blasen an ihren Füßen, die sie hätte vermeiden können, wenn sie freimütig genug gewesen wäre, nach ihren Schuhen zu fragen. Die Ohrfeige war ebensowenig seine Schuld, er hatte sich sogar eingeschaltet, um Schlimmeres zu vermeiden.
Aber er hatte sie gedemütigt - und er hatte ihr die Freiheit geraubt. Wenn sie diese nicht zurückerlangen würde, wäre das schlimmer als sämtliche körperlichen Qualen. Aber was sagte das über Selig aus? Hatte Eda recht? Würde er seinen Rachefeldzug beenden, wenn ihm bewußt würde, welches Leid er ihr tatsächlich zufügte? Wenn sie nun schrie und jammerte und sich beklagte ...
Bei der bloßen Vorstellung daran stieg Erika die
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