Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
Sohn?«
»Er schläft, schreit und gedeiht.« Sie lachte. »Du musst ihn sehen. Er wird seinem Onkel Chassim immer ähnlicher!«
»Das freut mich für Euch!« Sie umarmte die Gräfin innig.
Inzwischen war die Begleiterin der Gräfin schüchtern herangekommen. Sie trug ihr pechschwarzes, gewelltes Haar schulterlang und offen und war eine Schönheit, die sich dessen noch nicht bewusst war. In ihr Haar war ein mit Juwelen verziertes goldenes Band eingeflochten. Scheu schlug sie die Augen mit den langen Wimpern nieder, als sie den Blick bemerkte, den Anna ihr zuwarf.
Die Gräfin trat beiseite und wies auf sie. »Anna, darf ich dir unseren hohen Gast vorstellen: Elisabeth von Bayern. Elisabeth, das ist Anna von Hochstaden, die Medica.«
Elisabeth neigte respektvoll ihren Kopf vor Anna. »Ihre Gnaden Gräfin Ottgild hat mir viel von Euch erzählt. Ihr seid eine außergewöhnliche Frau. Es ist mir eine große Ehre und Freude, Eure Bekanntschaft machen zu dürfen.«
Anna lächelte sie freundlich an. Elisabeth war von zierlicher Gestalt wie sie, und der Altersunterschied war nicht groß, sie hätte Annas jüngere Schwester sein können. Das also sollte die zukünftige Braut des Königs sein: blutjung, sie war vierzehn Jahre alt, mit einem offenen Gesicht und strahlenden Augen.
»Ich habe auch schon von Euch gehört, Elisabeth«, antwortete sie. »Aber Ihr seid noch schöner, als man mir erzählt hat.«
Anna glaubte sich in diesem ernsten Mädchen wiederzuerkennen, so, wie sie selbst vor drei oder vier Jahren gewesen war. Äußerlich zerbrechlich und doch willensstark.
Elisabeth schlug erneut die Augen nieder. »Darf ich Euch etwas fragen?«, sagte sie leise. »Ihr seid doch beim König gewesen. Ich weiß, er ist sehr krank – könnt Ihr ihn wieder gesund machen? Ich bitte Euch von Herzen …« Dabei sah sie Anna mit einem so verzweifelten und flehentlichen Ausdruck in den Augen an, dass Anna sich selbst darin sah, wie sie vor Sorge um Chassim schier den Verstand verloren hatte. Gräfin Ottgild und Anna warfen sich einen kurzen Blick zu. »Bruder Thomas und ich tun alles, was in unserer Macht steht. Aber das Leben des Königs liegt in Gottes Hand.«
»Ich bete Tag und Nacht für ihn. Bitte richtet ihm von mir aus, dass ich mir nichts sehnlicher wünsche, als dass er wieder gesund wird.«
»Das werde ich.«
Als Anna bemerkte, dass Elisabeth Wasser in die Augen schoss und ihr, als sie blinzeln musste, zwei dicke Tränen die Wangen herunterkollerten, beging sie eine Todsünde für eine Heilerin. »Er wird wieder gesund werden. Ich verspreche es dir«, flüsterte sie Elisabeth ins Ohr, während sie sie umarmte.
Dann löste sie sich, umarmte Gräfin Ottgild zum Abschied noch einmal und verließ mit wehender Kutte die Burgkapelle.
Eine von ihrem Pferd aufgescheuchte Feldschnepfe flatterte knapp an Annas Kopf vorbei, schreckte sie aus ihren Gedanken und brachte sie wieder in die Gegenwart zurück. Sie orientierte sich an der Landschaft. So weit das Auge reichte, war alles von weißem Pulverschnee bedeckt, der Himmel war dunstig, das Blau dahinter milchig und blass, kein Lufthauch war zu spüren. Nur an den Atemwolken des Pferdes und ihren eigenen erkannte man, wie kalt es war. Büsche und Bäume waren von einer dicken Schicht Reif überzogen. Sie ließ ihr Pferd vom Trab in leichten Schritt übergehen. Anna war eine gute Reiterin, sie war schon als Kind, bevor sie ins Kloster kam, unter der Anleitung ihres Ziehvaters mit Begeisterung auf einem eigenen Gaul unterwegs gewesen. Deshalb wusste sie auch beizeiten, wann sie ihr Pferd schonen musste, wenn sie es nicht zuschanden reiten wollte.
Vor Einbruch der Dämmerung musste sie einen trockenen Unterschlupf finden, wo sie ein Feuer machen und die Nacht verbringen konnte. Sie beschloss, im nahen Wald nach einer passenden Stelle zu suchen, vielleicht fand sie irgendwo eine leerstehende Hütte.
Als sie am Waldrand ankam, sah sie am Horizont einen Reitertrupp auftauchen. Schnell dirigierte sie ihr Pferd weiter in den Wald hinein, um sich hinter den Bäumen zu verbergen. Falls das der Trupp eines Landesherrn war, wollte sie unangenehmen Fragen lieber ausweichen. Aber sie führten weder Fahnen noch Abzeichen mit. Hier in dieser einsamen Gegend war es sowieso ratsam, einer so großen Zahl fremder und bewaffneter Männer – es waren bestimmt zwei Dutzend Reiter – aus dem Weg zu gehen. Sie stieg vom Pferd und tätschelte ihm beruhigend den Widerrist, als die gegen die
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