Die Rache Der Nibelungen
ausgeplündert und verlassen, fielen den Invasoren in die Hände. Siegfried hatte ausdrücklichen Befehl erteilt, nicht barbarisch über das Land herzufallen und nur in feindlichen Soldaten den Gegner zu suchen. Doch die Berichte belegten, dass vielerorts seine Söldner kaum anders vorgingen als seinerzeit auf Island, und sein Herz fand Ruhe einzig in dem Gedanken, dass seine Mission Freiheit war und nicht Unterdrückung. Er konnte im Moment nur den Unterschied nicht mehr erkennen.
Immer wieder ritt Siegfried die frisch eroberten Gebiete ab, so klein sie auch sein mochten. Er legte seine Hand auf die Bäume, roch an der Erde, trank aus Bächen, die schon den Durst seines Großvaters gestillt hatten. Es sollte ihm den Glauben an das Recht geben, in dessen Namen er unterwegs war. Doch für jedes Hochgefühl fand er die Leichen junger Knaben, die Wulfgar eilends mit Spießen und Heugabeln ausgerüstet hatte, oder abgebrannte Dörfer, denen der Krieg das Leben ausgetrieben hatte. Siegfried bekam ein Gespür dafür, dass Kriege kaum befreiten, schon gar nicht in kurzer Folge. So sehr das Leben auch mit Kraft sich immer neu behauptete, konnte es gegen die dauernden Zerstörungen nicht an.
Die erste Woche brachte weitere Siege für Siegfried, und Wulfgars Heer zog sich erneut zurück, in einem Halbkreis nach Süden die großflächigen Gebiete um die Burg schützend. Doch Sieg hieß weitere Verluste, niemals unter tausend Mann an einem Tag. Nachts brannten die Leiber auf großen Haufen, weithin sichtbar als Fanal der Blutrünstigkeit beider Seiten. Die Priester gaben auf, und für ordentliche Bestattungen war keine Zeit mehr. Einzig die Waffen-meister profitierten, konnten sie nun doch jedem Soldaten zwei Schwerter zuweisen, und Dolche, so viel er zu tragen vermochte. Waffen starben nicht im Kampf, und je länger der Krieg dauerte, desto mehr Klingen kamen auf immer weniger Krieger. Mancher Pfeil traf schon seinen dritten oder vierten Brustkorb, als die Front in der zweiten Woche zum Erliegen kam.
Beide Seiten bissen sich fest. Morastige Gebiete erlaubten keinen Angriff auf breiter Front, und was an befestigten Straßen zur Xantener Burg führte, war in mehreren Reihen gesichert und nirgendwo planbar einzunehmen. Siegfried dachte daran, mit verstärkter Spitze vorzustoßen, doch dann war abzusehen, dass die Xantener Soldaten über die Flanken als Zange kamen, um die Spitze abzuzwicken und aufzureiben, bevor sie die Burg erreichte. Erfolg versprach nur das gleichmäßige Vorrücken, das zugleich mit großen Verlusten drohte. Und in der Erkenntnis, nichts mehr verlieren zu können, entwickelten die Xantener erstaunliche Zähigkeit. Was Siegfried an einem Tag gewann, verlor er mitunter schon in der nächsten Nacht. Was ein Sturm hätte sein sollen, war tumbes Tauziehen um Dörfer und Täler, manchmal nur um Lichtungen und Senken.
Niemand gewann – aber alle verloren.
Bis tief in die Nacht saß Siegfried mit seinen Generälen zusammen, den treuen Nazreh immer an seiner Seite. Doch was sie auch planten, wie sie auch den Gegner zu überraschen versuchten, es blieb erfolglos. Und das eroberte Land gab nicht genug her, um das Heer zu ernähren, weshalb mühsam aus dem Frankenreich und Sachsen Lebensmittel herbeigeschafft werden mussten. Dass die Höfe überhaupt lieferten, war die einzige Bestätigung, dass sie Siegfrieds Erfolg erwarteten.
Xanten hingegen hungerte. War schon vor dem Krieg kaum genug Ernte übrig, das geschwächte Reich zu ernähren, so fielen durch die Schlachten jene Handelsstraßen aus, über die Wulfgar das Nötigste bezog. Auch diese Möglichkeit blieb Siegfried offen – wochen- oder monatelange Belagerung, bis Xanten sich selber fraß und am Schluss totes Land zu übernehmen war.
Kaum zehn Tage, nachdem die Truppen im Sold des Prinzen von Island die erste Attacke geritten hatten, ging nichts mehr vor und nichts zurück. Wo keine Handbreit Boden zu gewinnen war, da half auch sinnloser Angriff nicht. Xanten verteidigte sich bissig, doch keine direkte Gegenwehr war zu erwarten. Hätten die Söldner sich auf Siegfrieds Befehl umgedreht und den Krieg eigenmächtig beendet – Xantens Heer hätte sie ohne Verfolgung ziehen lassen. Tage vergingen im Belauern, ohne nennenswerte Scharmützel. Man zählte die Toten, pflegte die Verletzten und verteilte die Überlebenden neu.
Mitten im Krieg erlahmte der Wille zum Krieg.
Und am fünften Tag ohne Kampfesschrei kam ein Bote von der Xantener Burg zum Zelt des
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