Die Rache Der Nibelungen
dem Felde einander gegenübertraten. Beiden hätte es nicht zur Ehre gereicht, wenn ihre tapferen Soldaten von den Verhandlungen erfahren hätten.
Wulfgar brachte seine persönliche Garde mit, jene Männer, die auch die Burg im Angriffsfall zu verteidigen hatten. Exzellente Bogenschützen, schnell mit dem Schwert und jederzeit bereit, für den König zu fallen.
Siegfried hatte Nazreh dabei und ein Dutzend Söldner mit Erfahrung in der römischen Armee. Ihr Befehl lautete, die Sehnen der Bögen keinen Moment zu entspannen und die Spitzen der Pfeile nicht für einen Augenblick anders auszurichten als auf Wulfgar. Sollte der Xantener den Dolch gegen Siegfried heben, durfte sein Herz danach keinen zweiten Schlag mehr tun.
»So froh ich über dieses Treffen bin, so misstrauisch macht mich doch der Ruf des Königs«, murmelte Nazreh, während sie sich noch im Wald am Rande der Lichtung versteckt hielten.
Siegfried dachte an die Massaker Wulfgars in Island und nickte. »Zu trauen ist ihm nicht, das steht fest.«
Es war um den Mittag herum, die Sonne stand warm und genau über ihnen, keine der Parteien blendend. So wie es vereinbart worden war.
»Der König steht bereit!«
, schallte es von der anderen Seite der Lichtung.
»Und sein Herausforderer ebenso!«
, rief Nazreh zurück. Er drehte sich zu Siegfried. »Nun gilt es.«
Der Prinz von Island legte den Gürtel ab, an dem Schwert und Messer hingen. Die Ärmel seines Hemdes rollte er auf, um zu zeigen, dass keine verdeckte Klinge herausrutschen konnte. Er sah eine Bewegung auf der anderen Seite, eine Gestalt, die auf die Lichtung trat. Zwei Gestalten. Siegfried nickte seinen Soldaten zu, und diese spannten ihre Bögen.
Nazreh sah Siegfried eindringlich an. »Denk daran – du willst Xanten erobern, nicht vernichten. Wähle keinen hohen Preis, den letztlich deine Männer zahlen müssen.«
Siegfried nickte und trat ebenfalls auf die Lichtung. Es waren vielleicht hundert Schritte bis zur Mitte, und beide Männer nahmen sie mit angemessener Würde. Es fiel dem Prinzen auf, dass er Wulfgar nicht so nahe gewesen war, als er ihn vom Fenster der isländischen Burg aus beobachtet hatte. Eine Welle der Wut durchlief ihn heiß, und er dachte erneut daran, Wulfgar gleich hier zu töten. Wenn es sein Leben kostete – war das nicht der faire Preis, von dem Nazreh gesprochen hatte?
Doch bevor er sich in die Rachegelüste steigern konnte, fiel sein Blick auf die zweite Gestalt, die er zuvor gesehen hatte und die am Rande der Lichtung stehen geblieben war.
Es war ein Mädchen.
Nicht viel Klugheit war vonnöten, um in ihr die Prinzessin Xandria zu erkennen, die Tochter Wulfgars. Ein goldener Gürtel zierte ihre Taille, und eine feine Krone bändigte ihr feuerrotes Haar. Ihre bleiche Haut schien in der Sonne zu leuchten, als hätte man eine Fackel entzündet.
Siegfried spürte, wie sein Blick sich an Xandria labte, wie seine Augen sich weigerten, von ihr zu lassen und sich dem König zuzuwenden. Die Prinzessin war von außergewöhnlicher Schönheit, und ihre Anmut ließ Siegfried die Hände zittern. Selbst auf die Entfernung sah er das angedeutete Lächeln auf ihren Lippen und ihre zarten Finger, die leicht zuckten, als wollte sie ihm zuwinken.
Das Herz, das es zu erobern galt? Siegfried erinnerte sich an das, was Brunhilde ihm gesagt hatte. Xandria war mehr als das Schlachtfeld der Schlüssel zur Macht in Xanten. Doch wie konnte das sein? Wenn er siegreich war, musste er sie töten, um die Blutlinie Wulfgars zu brechen. Er konnte sie auch blenden und bettelarm in die Verbannung schicken, damit das Schicksal ihm die schmutzige Arbeit abnahm. Aber schon der Gedanke schmerzte tief in seiner Brust, zog sein Herz zusammen und weigerte sich, zu Ende gedacht zu werden.
Erst als die Gestalt Wulfgars einen Schatten auf ihn warf, stellte Siegfried fest, dass er die Mitte der Lichtung erreicht hatte, und riss mühsam die Gedanken von der zauberhaften Erscheinung.
Der Wechsel von der Tochter zum Vater war wie der Wechsel von einer Rose zu einem Kuhfladen.
Wulfgar überragte Siegfried kaum, doch an Breite und Masse hatte der Isländer seinem Erzfeind nichts entgegenzusetzen. Ein dicker Mantel blies die Schultern des Xantener Königs noch weiter auf, und schwere beschlagene Lederbänder an den Armen waren fest um kräftige Muskeln gebunden.
»So sieht er also aus, der Prinz aus dem Niemandsland«, knurrte Wulfgar, und Siegfried war froh, dass auf höfliche Floskeln verzichtet werden
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