Die Rache Der Nibelungen
unerfüllbar und zeugten von kluger Zurückhaltung.
Aber zwischen den Zeilen standen Fragen, auf die Wulfgar gerne Antworten gehabt hätte, bevor er sich mit dem Angreifer traf.
Der Führer seiner Feinde nannte sich »Prinz Siegfried«, doch kein Königshaus, das Wulfgar kannte, hatte in den letzten Jahren einen Sohn dieses Namens aufgezogen. Hätte sich ein dahergelaufener Kriegsherr um des Ansehens wegen einen Titel gegeben, wäre es wohl nicht weniger als »König« gewesen.
Und wenn dieser Siegfried nicht den Schutz eines großen Hofes genoss, woher kam dann der Reichtum, um über einen einzigen Winter ein Heer dieser Größe aufzustellen? Selbst die vereinten Schätze von Xanten und Island wären dazu nicht in der Lage gewesen. Wulfgar konnte nur vermuten, dass Siegfried einen heimlichen Unterstützer hatte. Vielleicht aus Rom? Oder nutzte der Frankenherrscher Theudebald einen Stellvertreter, um einen unliebsamen Regenten vom Thron zu stoßen? Möglich, aber der König von Xanten hatte sich den Franken immer als loyal erwiesen. Es gab keinen triftigen Grund, ihn nun mit einem großen Schattenheer zu überfallen. Zumal keiner auf dem Kontinent etwas dagegen hätte tun können, wenn die Franken diesen Krieg selber geführt hätten.
Und da war noch ein Detail.
Siegfried verlangte explizit Wulfgars Tod.
Nun war der Tod des unterlegenen Regenten meist natürliche Folge eines Krieges zwischen zwei Reichen, aber schon in seiner ersten Botschaft hatte Siegfried klargemacht, dass er den Kopf Wulfgars
verlangte
, sollte jemals Frieden einziehen. Das sprach von persönlicher Rache, von einer unbeglichenen Rechnung.
Es schabte Holz auf Holz, als die Tür sich öffnete und die Prinzessin in den Kriegsraum trat, der für Frauen eigentlich verschlossen war.
»Was willst du?«, knurrte Wulfgar verdrossen. »Die Nacht ist keine Zeit für dich, umherzuwandeln.«
Xandria ließ sich nicht beirren und verlor keine Zeit an Höflichkeiten. »Der Krieg kostet mehr, als das Land zahlen kann.«
»Das sieht jeder, der nicht blind geboren wurde.«
»Vielleicht ist es weise, das Unausweichliche nicht über die Leichen der Menschen hinwegzustrecken«, sagte die Prinzessin vorsichtig.
»Ich weiß, dass du mich für einen Unmenschen hältst«, brummte Wulfgar. »Ein blutrünstiges Ungeheuer, dem töten Freude bereitet.«
Xandria wollte etwas entgegnen, aber der König winkte ab. »Schenk dir jeden verlogenen Widerspruch. Es ist, wie es ist. Wenn Theudebald uns nicht zu Hilfe kommt, ist Xanten den Invasoren ausgeliefert. Und Theudebald liegt nichts daran, sich einzumischen, wie es scheint.«
»Und was soll nun geschehen?«
Wulfgar kratzte sich am Kopf. »Ich werde mich mit dem Anführer des Feindes treffen. Diesem Siegfried. Vielleicht lässt sich eine Einigung erreichen, wenn ich erst einmal weiß, was genau er will. Und wenn nicht – vielleicht ergibt sich die Gelegenheit, den Krieg mit einem schnellen Dolchstoß zu beenden.«
Er sah seine Tochter erblassen und bemerkte, wie sie sich am Tisch abstützte. Ihr Atem ging auf einmal flach und schnell. »Du wirst Siegfried treffen? Wann?«, fragte sie seltsam erregt.
»Schon morgen«, antwortete Wulfgar. »Auf einem Feld, zwei Stunden Ritt südlich von hier. Was schert es dich?«
»Ni... nichts ...«, stotterte Xandria ungewohnt. »Allein, das Schicksal des Volkes berührt mich.«
»Was hat das Volk je für dich getan?«, höhnte der König. »Glaubst du wirklich, die Xantener würden dich weniger eilig als mich den Schweinen vorwerfen, wenn sie könnten?«
Xandria entschied, die Stichelei zu ignorieren. »Ist es möglich, dich zu begleiten? Schließlich geht es um das Reich, und wenn meine Gegenwart hilft, die Raserei der Männer zu besänftigen, dann ...«
»Eine Frau hat keinen Platz auf dem Schlachtfeld«, sagte Wulfgar, obwohl der Gedanke in seinem Kopf Anklang fand. »Doch vielleicht ist dieser Siegfried ein Tölpel, dessen Gemüt von einem schönen Gesicht zu rühren ist.«
»Ich werde mich gleich vorbereiten«, sagte Xandria rasch. Sie eilte aus dem Zimmer, als fürchtete sie, Wulfgar würde seine Meinung noch ändern.
Der König sah seiner Tochter missgelaunt nach. »Und wenn ihn das Gesicht nicht rührt, bewegt der Schoß des Mädchens vielleicht sein Gemächt. In Geilheit hat so mancher Feldherr seine größten Fehler gemacht.«
In der Stille des Kriegsraums lachte er über den Gedanken.
Nur wenige waren eingeweiht gewesen, dass an diesem Tage zwei Gegner auf
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