Die Rache Der Nibelungen
Und nötig war es in letzter Zeit oft. »Wulfgar kehrt als Sieger heim, und als solcher muss er auch gefeiert werden. Hadert damit in Eurem Herzen, aber lasst die Düsternis nicht in Euer Gesicht. Ihr kennt des Königs Jähzorn.«
Xandria nickte gedankenverloren. Sie hatte die Narben, die davon zeugten. Und die zwei Finger an der linken Hand, die steif waren, seit Wulfgar mit dem Stiefel daraufgetreten war. »Mein Vater hat schon lange nicht mehr in meine Seele geschaut.«
Hede kam näher und räumte vorsichtig die Bücher zusammen. Sie hielt nicht viel von den kunstvoll bemalten Seiten, die der Prinzessin nur krude Ideen in den schönen Kopf zu setzen schienen. »Verzeiht mir die Impertinenz, Hoheit, aber wenn das Leben bei Hofe Euch so unerträglich ist, dann gäbe es einen Ausweg.«
Xandria seufzte. »Ich weiß. Aber man hat mir gesagt, dass Gift schmerzt – und wer Hand an sich legt, kommt nicht in den Himmel.«
Hede wurde bleich und legte die Hand auf ihre Brust, um nicht vor Schreck aufzukeuchen. »Prinzessin, nein! Das war es nicht, was ich meinte!«
Xandria dreht sich zu ihr – und lachte. »Das weiß ich doch, dummes Ding! Du sprichst von einer Heirat, auch wenn ich nicht sicher bin, ob ein letzter Trunk dieser Möglichkeit nicht vorzuziehen wäre.«
Hede brauchte ein paar Sekunden, um sich zu fangen. Der Humor der Prinzessin war derb, mitunter fast höhnisch. »An der Seite eines Prinzen könntet Ihr fort in ein anderes Reich. Dorthin, wo es warm ist und die Menschen nicht hungern. Wer wäre eine bessere Königin als Ihr?«
Xandria sah aus dem Fenster die untergehende Sonne. Der Gedanke an eine Hochzeit war ihr zuwider, denn mit der Pflicht als Königin kam die Pflicht zur Unterwerfung. Als Prinzessin konnte sie sich so manche Tollheit leisten – an der Seite eines Königs kam das nicht infrage. Und außerdem war es ja nicht so, dass man sich die Prinzen der Kontinente in einer Parade aufstellen lassen konnte, um die schmucken und belesenen Kandidaten auszuwählen. Sobald Xandria auch nur eine Andeutung machen würde, dass sie zur Ehe bereit war, würde Wulfgar den geeigneten Gatten nach politischem Vorteil und prall gefüllten Schatztruhen erwählen. Er musste schließlich Sorge tragen, dass Xanten nicht dem wachsenden Frankenreich einverleibt wurde. Den Prinzen, der in Wulfgars Augen Gnade fand, mochte sich die Prinzessin gar nicht vorstellen.
Nein, sie war eingesperrt in Xanten, und wenn eines Tages die Hochzeitsglocken läuteten, würde sie vermutlich nur ein Gefängnis mit einem anderen vertauschen.
Und doch, in manchen Nächten und in letzter Zeit immer mehr, träumte Xandria von einem Mann mit starken Armen, breiten Schultern und einem schnellen Pferd zwischen den Schenkeln. Sie träumte von heißen Küssen im Regen und nasser Haut auf dem Fell vor dem Feuer. Es mochte diesen Mann nicht geben, schon gar nicht unter den Prinzen der umliegenden Reiche – nicht in Sachsen, nicht in Franken, und schon gar nicht in Dänemark. Aber seine Gesellschaft in einsamen Stunden war Xandria genug, wenn sie mit schwerem Atem und kochendem Blut erwachte. Wenn seine Hände ihre waren ...
»Prinzessin?«, fragte Hede vorsichtig, und Xandria schreckte aus ihren Gedanken auf. »Wo seid Ihr nur mit Euren Gedanken? Schon bei einem Prinzen, der euch freien wird?«
»Nein«, antwortete die Prinzessin, und sie musste sich räuspern. »Wahrlich nicht. Aber ich wäre gerne noch ein wenig allein. Wenn mein Vater zurückgekehrt ist, wird mir die Muße schnell fehlen.«
Hede nickte und verließ wieder das Zimmer.
Xandria lächelte leise und versuchte mit der Kraft ihrer Gedanken, die Sonne schneller untergehen zu lassen. Denn die Nacht brachte den Prinzen, der nur ihr gehörte ...
3
Der lange Weg der Rache
S igurd hatte die letzte Welle nicht gespürt, die sein Schiff auf die Klippen geworfen hatte, er hatte das berstende Holz so wenig gehört wie das Stöhnen des Rumpfes, der dem Meeresboden entgegensank. Sein bewusstloser Körper wurde von zwei, drei Wellen hin und her geworfen, bis sie des Spiels müde waren und ihn dem Strand übergaben. Fast zärtlich betteten sie den Prinzen in den Sand, wo sie ihn auch rüde auf den Felsen hätten schlagen können. Den letzten Funken Leben hätte es aus Sigurds geschundenem Fleisch gedrängt, doch so lag er da, die wunden Füße immer noch vom Wasser umspielt, die Arme in den feuchten Boden gekrallt.
Was die Küste erreicht hatte, war nicht der Prinz von Island – es
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