Die Rache Der Nibelungen
war ein kümmerlicher Rest von ihm, eine Ahnung dessen, was ein Mann sein sollte, ein lächerlicher Schatten eines Kriegers. Keine Stelle war ohne Schorf, und die tagelange Irrfahrt hatte seine vielen kleinen Wunden entzündet. Die Bewusstlosigkeit war eine Gnade, die Sigurd unerträgliche Schmerzen ersparte. Mehrere Knochen waren gebrochen, an ruhigen Tagen verwachsen, nur um bei hohem Wellengang wieder zu knicken wie Zweige.
Aber er lebte. Sigurd lebte. Nicht durch die Gnade der Götter, nicht durch die Gunst der Nibelungen. Zum ersten Mal seit Generationen war das Schicksal unbeeinflusst gewesen, und es hatte dem Prinzen zur Seite gestanden. Mochten seine Hände unbeweglich sein – sein Herz schlug noch, und leiser Atem benetzte den Sand vor seinem Mund.
Er lag zwei Tage und zwei Nächte am Strand, während Ebbe und Flut ihn immer wieder hin und her schoben, als seien sie nicht einig, was die günstigste Position dieses Treibguts wäre. Und am Morgen des dritten Tages hörte Sigurd nicht die Schritte, fühlte nicht die Arme unter seinen Achseln, und schlief noch, als er auf einem starken Rücken über weite Wiesen getragen wurde.
Es wurde warm um ihn herum, und der Wind pfiff nicht mehr durch seine zerrissenen Kleider. Feuchte Tücher reinigten die Wunden, Kräuterpasten schlossen sie. Manchmal, wenn warme Brühe seine Lippen benetzte, wand sich der Prinz stöhnend, ohne jemals die Augen zu öffnen. Als er wieder ruhig lag, schabte eine Klinge seinen Bart ab, und eine Nadel schloss den Riss im Fleisch an seinem Bein.
Sigurd hatte keine Eile, in den geschundenen Körper zurückzukehren. Sein Geist wandelte zwischen den Welten, die aus Fieber und Visionen bestanden. Hier gab es keinen Schmerz, keine Zeit, keinen Boden unter den Füßen. Überall war Nebel, und das trübe Licht schien von nirgendwo her zu kommen. Manchmal schossen bunte Irrlichter umher, tanzten um Sigurds Finger, nur um wieder zu verschwinden, wenn er nach ihnen griff. Aus der Ferne hörte er Stimmen, dröhnend und laut, sodass der Nebel zitterte, als hätte dieses seltsame Reich Angst vor den Wesen hinter den Dingen.
Etwas fauchte, und obwohl es körperlos war, spürte Sigurd eine Wärme hinter sich. Er drehte sich um, doch nicht in Schritten, sondern gleitend wie ein Mensch im Wasser, fließend.
Da war Feuer. Kein Lagerfeuer, keine Fackel, sondern ein langer Flammenatem, der sich durch die feuchte Luft brannte und sie zischend verdampfte. Etwas klirrte, und ein Mann schrie gleichsam herausfordernd und ängstlich.
Sigurd wollte mehr sehen, näher ans Geschehen. Er fragte sich vage, wie er in diesem Dunst seinen schwebenden Körper vorwärtsbewegen sollte, doch es war gar nicht nötig – mit dem Wunsch kam die Wirklichkeit zu ihm. Die Szenerie vor seinen Augen schimmerte, und in den Schwaden sah der Prinz nun Bäume, Hügel, harten Boden. Doch es war nicht real, und der Wald wirkte hier wie eine ungefähre Erinnerung, errichtet aus Legenden und verschwommenen Erzählungen. Während Sigurd hinsah, wurden aus Bäumen Sträucher, und eine Anhöhe schmolz zusammen zu einer Wiese. Alles blieb ungreifbar, unwahr, unwirklich.
Nur zwei Dinge blieben konstant.
Der Mann und der Drache.
Es war ein Kampf, wie ihn Sigurd noch nie gesehen hatte. Absurd in seiner Ungerechtigkeit, unerhört in seiner Wildheit. Der riesige Lindwurm schlug mit den ledernen Flügeln, und sein Flammenodem röstete Holz wie Boden. Der Krieger, der das Untier stellen wollte, wirkte geradezu lächerlich, wie er durch die Büsche sprang, immer wieder Deckung suchend und dem Drachen letztlich doch hilflos ausgeliefert.
Das Gesicht des Kriegers ... Sigurd sah es immer nur gehetzt und für Sekunden, doch es löste eine Erinnerung aus. Eine Erinnerung an Unerlebtes.
Der Kampf war seltsam gestückelt, wie in seine wichtigsten Teile zerlegt. In einem Moment war der Krieger auf der Flucht, dann saß er über dem Höhleneingang und lockte das Vieh mit einem Kopf, den er an ein Stück Stoff gebunden hatte. Sigurd blinzelte, und plötzlich sah er den heldenhaften Streiter zwischen den Kiefern des Drachen und hielt sein Ende für gekommen. Doch dann durchbrach die Klinge den Schädel der Echse und beendete das ungleiche Duell, in dem der Schwächere siegreich blieb.
Seine Mutter Elsa hatte Sigurd manchmal aus der Heiligen Schrift vorgelesen, und der Prinz kannte die Geschichte von David und Goliath. Doch das hier, das war über die Maßen tollkühn.
Das Bild verschwamm um ihn herum,
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