Die Rache Der Rose
etwas anzuhören. Tatsächlich, Sir, gebe ich zu, daß es mich erschreckt. Nun ist es nicht etwa so, daß mir das Wundersame daran entgeht, Sir, oder der Optimismus, dem Ihr auf Eure Weise Ausdruck verleiht. Es ist nur so, daß ich geboren wurde, um bestimmten Sinnen zu vertrauen und sie zu genießen und um hinzunehmen, daß eine große unwandelbare Schönheit die Ordnung des Universums ist, eine Reihe von Naturgesetzen, die auf subtile Weise einer großen Maschine ähnelten - verflochten und komplex, doch letztlich vernünftig. Dieser Natur, Sir, galten mein Erleben und meine Verehrung, wie andere vielleicht eine Gottheit erleben und verehren. Eure Ansichten, Sir, kommen mir rückschrittlich vor. Sicherlich stehen sie doch den verworfenen Ansichten der Alchimie nahe.«
Und so ging die Diskussion weiter, bis sie alle dem Geräusch ihrer eigenen Stimmen müde wurden und sich nicht mehr sträubten, ihre Betten aufzusuchen.
Als Elric die Stufen hinaufstieg und seine Lampe riesige Schatten an die getünchten Wände warf, dachte er über den plötzlichen Aufbruch der Rose von der Tafel nach und hoffte, daß sie sich nicht durch etwas beleidigt gefühlt hatte. Für gewöhnlich hätte ihn dergleichen wenig bekümmert, doch diese Frau achtete er in einem Maße, das über die bloße Wertschätzung ihrer Intelligenz und ihrer Schönheit hinausging. Sie strahlte überdies eine Ruhe aus, die ihn auf sonderbare Weise an seine Zeit in Tanelorn erinnerte. Es war schwer zu glauben, daß eine Frau von so offensichtlicher Integrität und Weisheit darauf aus war, eine gewöhnliche Blutfehde zum Abschluß zu bringen.
In dem engen Raum, den er sich ausgesucht hatte, kaum mehr als eine Nische mit einem Klappbett, bereitete er sich zum Schlafen vor. Die Familie Phatt hatte es ihnen bereitwillig bequem gemacht, ohne sich ihrerseits mehr als nur der allernotwendigsten Unbill zu unterziehen, und hatte sich einverstanden erklärt, ihre geistigen Kräfte in den Dienst der Mission der Rose zu stellen. Bis dahin würde der Albino sich ausruhen. Er war müde, und nun sehnte er sich zutiefst nach einer Welt, die er nie wieder erfahren konnte. Einer Welt, die er selbst vernichtet hatte.
Nun schlief der Albino, und sein hagerer bleicher Körper wälzte sich hin und her; ein Stöhnen entwich den empfindsamen breiten Lippen, und einmal öffneten sich sogar die roten Augen und starrten schreckerfüllt in die Dunkelheit.
»Elric«, sagte eine Stimme, die von altem Zorn und alter Trauer so sehr durchdrungen war, daß sie schon feste Bestandteile ihres Klanges geworden waren, »mein Sohn. Hast du meine Seele gefunden? Für mich ist es hier schwer. Es ist kalt. Es ist einsam. Bald muß ich zu dir kommen, ob ich es will oder nicht. Ich muß in deinen Körper dringen und auf ewig ein Teil von dir sein…«
Und Elric erwachte mit einem Schrei, der den Abgrund zu erfüllen schien, in dem er schwebte, und sein Schrei gellte ihm in den Ohren weiter und hallte in einem anderen Schrei wider, bis beide gemeinsam schrien und er nach dem Gesicht seines Vaters suchte, doch war es nicht sein Vater, der schrie…
Es war eine alte Frau - weise und taktvoll, voll außerordentlichen Wissens -, die wie eine Wahnsinnige schrie, als ob sie sich im Griff der furchtbarsten Qual winde, und sie schrie: »NEIN!« Und schrie: »HALT!« Und schrie: »SIE STÜRZEN HINAB, O TEURE ASTARTE, SIE STÜRZEN HINAB!«
Mutter Phatt schrie. Mutter Phatt erlebte eine Vision von so unerträglicher Intensität, daß ihre Schreie die von ihr empfundene Qual nicht zu lindern vermochten. Und sie verfiel in Schweigen.
Wie auch Elric schwieg.
Wie auch die Welt schwieg bis auf das leise Rumpeln der gewaltigen Räder, das stetige, weit entfernte Stampfen marschierender Füße, die auf ihrem Marsch um die Welt niemals stillstanden…
»HALTET AN!« schrie der Albinoprinz auf, wußte jedoch nicht, was er befahl. Er hatte nur den allerkleinsten Bruchteil von Mutter Phatts Vision erfahren…
Vor seiner Tür ertönten alltäglichere Geräusche. Er hörte, wie Fallogard Phatt nach seiner Mutter rief, hörte Charion Phatt schluchzen und erkannte, daß eine Katastrophe kurz bevorsteht…
Mit entzündeter Lampe und in geborgtem Gewand trat Elric auf den Treppenabsatz und sah durch die offene Tür Mutter Phatt kerzengerade in ihrem Bett sitzen. Schaum befleckte die alten Lippen, die Augen starrten verängstigt ins Leere. »Sie stürzen hinab!« stöhnte sie. »Oh, wie sie hinunterstürzen. So weit
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