Die Rache Der Rose

sprecht Ihr wahr, meine Dame«, sagte Elric. »Die Natur verteilt Macht wahrlich mit der gleichen Gleichgültigkeit, wie sie Intelligenz, Schönheit oder Reichtum verteilt!«
    »Und daher unterliegt die Menschheit der Verpflichtung«, sagte Wheldrake und gab etwas von seinem eigenen Hintergrund preis, »jene Fehler der Gerechtigkeit zu berichtigen, die die Natur begeht. Deswegen müssen wir jene versorgen, die die Natur zufällig arm, krank oder anderweitig bekümmert erschafft. Falls wir dies nicht tun, so denke ich, erfüllen wir unsere eigene natürliche Funktion nicht. Ich sage dies«, fügte er hastig hinzu, »als Agnostiker. Wohlgemerkt, ich bin ein gestrenger Radikaler. Doch kommt es mir so vor, als ob Paracelsus es gut traf, als er nahelegte…«
    Woraufhin die Rose, die sich allmählich in dieser Hinsicht ein gewisses Geschick erworben hatte, seinen Aufstieg in das Reich des Abstrakten dadurch unterbrach, daß sie Mutter Phatt mit lauter Stimme fragte, ob sie noch etwas Käse haben wolle.
    »Heut nacht genug Käse«, sagte die alte Frau rätselhaft, doch ihr Lächeln war freundlich. »Immer in Bewegung. Immer in Bewegung. Von der Ferse zu den Zehn, die Läufer gehen. Sie laufen, meine Liebe, und hoffen, ihrer Verdammnis zu entfliehen. Ohne Wandel, eine Generation nach der anderen; eine Ungerechtigkeit nach der anderen, die von weiterer Ungerechtigkeit genährt wird. Immer in Bewegung. Immer in Bewegung …« Und beinahe dankbar versank sie wieder in starrender Schweigsamkeit.
    »Oh, diese schändliche Gesellschaft, mein Herr«, sprach ihr Sohn mit weisem Nicken und bestätigendem Schwenken eines Kekses. »Schändlich. Sie ist eine Lüge, mein Herr. Ein riesiger Betrug, diese ›freie Nation‹, die stets voranzuschreiten scheint, sich dennoch niemals wandelt! Ist das nicht wahre Dekadenz, mein Herr?«
    »Ich frage mich, ob dies Engelands Geschick sein wird«, sann Wheldrake über eine verschollene Heimat nach. »Ist dies das Geschick aller ungerechten Imperien? Ach, ich fürchte, daß ich die Zukunft meines eigenen Landes erschaue!«
    »Gewiß wurde sie die einzige Zukunft meiner eigenen Heimat«, sagte Elric mit einem Grinsen, das weit mehr preisgab, als es zu verbergen suchte. »Und deshalb zerfiel Melnibone auch wie eine wurmzerfressene Hülle, wie bei der allerleisesten Berührung…«
    »Nun«, sagte die Rose, »zur Sache.« Und sie entwarf einen Plan, des Nachts zwischen den Rädern hindurchzuhuschen, Duntrollin zu finden, dort zwischen den Laufbrettern umherzuschleichen, bis sie die Treppen erreichten - von da ab sollte dann Fallogard Phatt ihr Bluthund sein und seine Hellsichtigkeit auf die drei Schwestern ausrichten. »Doch die Einzelheiten müssen wir noch besprechen«, sagte sie, »es könnten Gegebenheiten existieren, Meister Phatt, die ich übersehen habe.«
    »Ganz sicher einige, meine Dame.« In höflichem Ton zählte er sie auf. Die Klappen zu den Laufbrettern standen unter Bewachung. Die kriegerischen Einwohner von Duntrollin waren mit Sicherheit auf einen ähnlichen Versuch wie den ihrigen gefaßt. Er selbst hatte die Schwestern nie gesehen, daher wäre seine Gabe wenig verläßlich. Zudem gab es keine Garantie, daß sie von ihnen willkommen geheißen würden, selbst wenn sie die Schwestern erreichten. Und wie sollten sie danach die Zigeunernation verlassen? Die Abfallwälle waren beinahe unmöglich zu überqueren, und die Wachen bemerkten stets Fluchtversuche. Außerdem war es für die Familie Phatt sinnlos, über solche Dinge nachzudenken, da sie von jener seltsamen Abart psychischer Schwerkraft festgehalten wurden, die so viele arme Seelen zu dieser Straße geführt hatte, damit sie ewig darauf oder darunter leben sollten. »Wir alle werden hier durch mehr gefangengehalten als nur durch ein paar schwarzgefiederte Pfeile und einen Müllberg«, sagte er. »Die Zigeunernation beherrscht diese Welt, mein Freund. Sie hat eine dunkle, sonderbare Macht errungen. Sie hat Abkommen geschlossen. Sie hat Teile des Chaos zu eigenen Zwecken gemeistert. Ich glaube, deshalb wagt sie auch nicht anzuhalten. Alles hängt davon ab, daß sie ihr Bewegungsmoment beibehält.«
    »Dann müssen wir die Nation zum Stehen bringen«, sagte die Rose nur.
    »Nichts kann dies vollbringen, werte Dame.« Fallogard Phatt schüttelte traurig und verzweifelt den Kopf. »Sie existiert, um sich zu bewegen. Sie bewegt sich, um zu existieren. Deswegen wird die Straße auch nie geändert, sondern neugebaut, selbst wenn das Land