Die Rache Der Wache
nicht nur mir, wie es scheint.«
»Ich habe noch nie zuvor mit einem Menschen gekämpft«, preßte Wess zitternd hervor. »Nicht in einem ernsten Kampf. Nur zur Übung. Keiner wurde je verletzt.« Sie tastete nach der Wunde, die stark blutete. Ihre Gedanken lenkten den Blutstrom, der nun allmählich versiegte.
Lythande saß auf den Fersen neben ihr. »Laß sehen.« Erstaunt untersuchte sie die Wunde. »Ich dachte du blutest, aber es hat aufgehört. Was ist geschehen?«
»Das ist mir selbst nicht ganz klar. Seid Ihr mir gefolgt oder die Männer? Ich hatte den Eindruck, daß mir nur einer folgte.«
»Ich war dein einziger Verfolger«, bestätigte Lythande. »Die beiden sind gewiß gekommen, um Quartz erneut zu belästigen.«
»Ihr wißt davon?«
»Das weiß die ganze Stadt, Kind. Zumindest jeder im Labyrinth. Bauchle wird das so schnell nicht verwinden. Schlimmer noch, er wird nie verstehen, was geschah, oder warum.«
»Ich verstehe es auch nicht«, sagte Wess. Sie sah Lythande an. »Wie kannst du hier leben?« stieß sie hervor.
Lythande erhob sich stirnrunzelnd. »Ich lebe nicht hier. Aber das ist es nicht, was du wissen willst. Wir können uns hier, auf offener Straße, nicht gut unterhalten.« Er sah sich um, zögerte und blickte sie wieder an. »Willst du mit mir kommen? Ich habe nicht viel Zeit, aber ich kann deine Wunde versorgen, und wir werden in Ruhe reden können.«
»Gut«, sagte Wess. Sie steckte ihr Messer wieder in die Hülle und stand auf, der Schmerz in der Seite ließ sie zusammenzucken. Lythande half ihr auf.
»Vielleicht ist eine Rippe gebrochen«, sagte er. Langsam gingen sie die Straße hinunter.
»Nein«, sagte Wess. »Sie ist gequetscht. Es wird eine Zeitlang weh tun, aber gebrochen ist sie nicht.«
»Woher weißt du das?«
Wess sah ihn fragend an. »Ich komme zwar nicht aus der Stadt, aber meine Leute sind keine Barbaren. Ich habe aufgepaßt im Unterricht, als ich klein war.«
»Unterricht? Was für ein Unterricht?«
»Nun, um die Vorgänge des Körpers zu kontrollieren, zu wissen, ob man verletzt ist, und was man tun muß, wenn es so ist - sicher lernen auch eure Kinder diese Dinge.«
»Davon versteht mein Volk nichts«, gab Lythande zurück. »Ich denke, wir werden eine interessantere Unterhaltung führen, als ich dachte, Frejöjan.«
Der Weg durch das Labyrinth war sogar für Wess verwirrend, bis sie endlich zu einem kleinen Gebäude kamen, vor dem Lythande stehenblieb. Wess fühlte sich ein wenig schwindelig, was von dem Schlag auf den Kopf herrührte, sie wußte aber, daß ihre Verletzungen nicht gefährlich waren. Lythande öffnete eine niedrige Tür, bückte sich und trat ein. Wess folgte.
Lythande nahm eine Kerze. Der Docht glühte auf. In der Mitte des Raumes spiegelte ein winziger Fleck das Glühen wider. Die Funken wurden zur Flamme, und der Widerschein wuchs. Wess blinzelte. Der Widerschein wurde zu einer Kugel, die höher war als Lythande. Farbe und Beschaffenheit glichen tiefem Wasser, das blaugrau schimmerte. Sie balancierte selbständig im Raum.
»Folge mir, Westerly.«
Lythande ging auf die Kugel zu, deren Oberfläche sich kräuselte, als sie näher kam. Sie stieg in die Kugel und wurde von ihr gleichsam umschlungen. Wess sah eine verschwommene Gestalt jenseits der Oberfläche und dem Lichtschein der Kerzenflamme.
Vorsichtig berührte Wess die Kugel mit einer Fingerspitze. Sie war naß. Wess holte Luft und steckte eine Hand durch.
Es hielt sie fest! Sie konnte nicht weiter, nicht entfliehen, sich nicht bewegen. Selbst die Stimme versagte ihr.
Einen Herzschlag später tauchte Lythande auf. In ihren Haaren glitzerten Wassertropfen, aber die Kleider waren trocken. Sie sah stirnrunzelnd auf Wess, und die Falten drapierten sich um den Stern. Dann entspannten sich die Züge, und sie griff nach Wess' Armgelenk.
»Kämpfe nicht, kleine Schwester«, sagte sie. »Kämpfe nicht gegen mich.«
Der blaue Stern glänzte in der Dunkelheit, seine Spitzen funkelten in neuem Licht. Lythande mußte viel Kraft aufwenden, um Wess' Ärmel aus der Kugel zu ziehen. Der Stoff war durchweicht und kalt. In den wenigen Sekunden hatte das Wasser die Haut der Finger weich und schrumpelig gemacht. Unvermittelt gab die Kugel die Hand völlig frei, und Wess wäre gefallen, hätte Lythande sie nicht aufgefangen.
»Was ist geschehen?«
Lythande stützte sie und griff ins Wasser, um es wie einen Vorhang beiseite zu schieben. Sie schob Wess auf die Öffnung zu. Unwillig schwankte Wess
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