Die Rache Der Wache
Euch.«
»Deshalb seid Ihr hinter mir her gewesen? So ist es doch, nicht wahr? Das Amulett, ein Mittel, Euch zu mir zu bringen ... «
»Es kostet Euch nichts. Kein Leid. Eine Kleinigkeit für Euch, Ischade ...«
Die Versuchung war groß. Er war aufregend schön in diesem Moment, diesem einen Moment, und die Nächte und Jahre waren lang.
Doch dann erinnerte sie sich, was geschehen könnte, und sie schauderte, sie, die seit Jahren keinen Schauder gekannt hatte. »Nein! Nein! Vielleicht seid Ihr bereit zu sterben, doch ich bin es nicht. Nein! Wenn zwei Flüche wie unsere zusammenprallen — es könnte das Ende der halben Stadt sein, von Eurem und meinem ganz zu schweigen. Die entfernteste Möglichkeit genügt ... Nein, ich möchte noch länger leben ...« Er runzelte die Stirn, richtete sich mit schwach zitternden Lippen auf, Panik in den Augen. »Ischade ...« Seine Stimme veränderte sich, und plötzlich erschütterten sich seine Züge, vom Mund angefangen, als wäre die Anspannung zuviel, zu lange, zu verzweifelt gewesen. Die Schuppen kehrten zurück. »Nein!« schrie er und vergrub das Gesicht in den Händen, die keine wirklichen Hände mehr waren. Die Vorhänge flatterten, die Luft schien sich zu kräuseln. »Nein ...« Die Luft seufzte hinter ihm her, ein Ächzen, ein Schluchzen.
Ein zweites Mal schauderte sie, schaute sich um, aber er war nicht mehr da.
Auch gut, dachte sie. Er hat seine Antwort ein für allemal bekommen. Ihre Aufträge führten sie kreuz und quer durch das Reich, aber sie spürte plötzlich, daß sie Freistatt mochte wie noch keinen anderen Ort — und es war gut, daß Yorl ihre Antwort anerkannt hatte und es geklärt war. Bald schon mochte sie neue Aufträge erhalten. Doch im Augenblick dachte sie an ihr Haus am Fluß. Diese Wohnung war nun zu gut bekannt; sie könnte zum Fluß spazieren — und unterwegs vielleicht jemanden treffen.
Der Wein floß in den Becher, doch Hanse war nicht einmal in der Verfassung, daß er aufblickte, um zu sehen, wer einschenkte, sondern den Becher gleich an die Lippen hob und trank.
»Gut«, murmelte er. Cappen Varra, der ihm hier im Einhorn gegenübersaß, sah, wie er die Schrecken der noch frischen Erinnerung abschüttelte, und hob seinen eigenen Becher an die Lippen. Bedauernd dachte er an ein Lied, das er aufgegeben hatte, eine Geschichte, die man lieber überhaupt nicht weitergab, selbst nicht in der Geborgenheit des Einhorns. Morgen würden in der Stadt endlose Fragen gestellt werden, da war es besser, nichts zu wissen — und er war sicher, Hanse beabsichtigte am wenigsten zu wissen.
»Ein Spiel?« schlug Cappen vor.
»Nein, ich möchte heute nacht nicht würfeln.« Hanse kramte in seinem Beutel. Er brachte ein Silberstück zum Vorschein, legte es behutsam auf den Tisch. »Das reicht für eine weitere Kanne, wenn diese leer ist. Und für eine Unterkunft, diese Nacht.«
Cappen schenkte nach, füllte die Becher bis zum Rand — ein Wunder, daß Hanse den Wein bezahlte. Er ging mit dem Geld um, als wollte er es loswerden.
»Dann spielen wir morgen«, sagte Cappen hoffnungsvoll.
»Morgen.« Hanse hob seinen Becher erneut an die Lippen.
Der blinde Darous goß ein. Er hielt den Kelch so, daß sein Finger die Kühle der Flüssigkeit spüren konnte — maß sorgsam und streckte den vollen Kelch seinem Herrn entgegen. Dessen Atem klang heute nacht heiser. Eine Hand griff nach dem Gefäß, ohne Darous' Finger zu berühren. Dafür war der Blinde dankbar.
Zum Fluß, zu einem Haus abseits von den anderen, das auch so ganz anders war, als die armseligen Behausungen in der Gegend. Es hatte einen Garten und eine Mauer ringsum — und war auf malerische Weise vom Alter gezeichnet.
Mradhon Vis stand vor dem Tor — zerschunden und müde. Sie war dort. Sie hatte einen jungen Mann gefunden, einen, der Sjekso sehr ähnlich war, der in den Armen halten durfte, was ihm nicht vergönnt war. Den weiten Weg war er gekommen.
Und schließlich, da er wußte, was er wußte, tat er, was ihm schwer fiel, und ging weiter.
Der Alte Mann
Ein Geschenk zum Abschied
Robert Asprin
Die Sonne stand zwei Handbreit über dem Horizont, als Hort an den Freistätter Piers ankam — früh am Tag, doch spät für Fischer. Der Junge blinzelte mit schmerzenden Augen in die ungewohnte Helligkeit der Morgensonne. Wie sehr er sich wünschte, er wäre zu Hause im Bett — oder in sonst irgendeinem Bett oder überhaupt irgendwo anders als hier. Aber er hatte seiner Mutter versprochen, dem
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