Die Rache Der Wanderhure
dann aber seine Aufmerksamkeit wieder dem Toten zu. Eine Stimme in ihm sagte, dass dies hier nicht hätte geschehen dürfen. Doch als er nach einem Gedanken oder einer Erinnerung suchte, die ihm dies hätte erklären können, griff er erneut ins Leere.
9.
B ei Nepomuk hatte Marie sich noch mutig und entschlossen gefühlt. Mittlerweile aber saß ihr die Angst wie ein Alb im Nacken. Jeden Augenblick konnte sie vor Leuten stehen, die keine Fragen stellten, sondern gleich zuschlugen. Doch welche andere Wahl hatte sie, als diesen Weg zu gehen?, fragte sie sich.
Eine Möglichkeit wäre gewesen, sich Nepomuk anzuschließen und mit ihm zusammen in Heerlagern und auf Jahrmärkten aufzutreten. Doch damit hätte sie alles verspielt, was sie je erreicht hatte, eine sichere Stellung im Leben, ihre Tochter, ihre Freunde und ihren Mann.
Nach kurzem Überlegen kam sie zu dem Schluss, dass sie niemals frei würde atmen können, solange ihr alter Feind noch lebte. Trotz des Mönchsgewands glaubte sie nicht an Ruppertus’ Läuterung. Er erschien ihr sogar noch skrupelloser als früher und so fanatisch, dass sie nun sicher war, es mit einem Wahnsinnigen zu tun zu haben.
Während sie durch eine enge, von dichtem Wald gesäumte Schlucht ging, haderte sie mit dem Schicksal, das es diesem Mann nicht nur erlaubt hatte weiterzuleben, sondern auch, Macht und Ansehen zu erlangen. Im Gegensatz dazu war alles, was sie einst geliebt und besessen hatte, zu Scherben zersprungen. Nach dem Ablauf der von Sigismund gewährten Frist war sie nun vogelfrei, und es gab keinen Weg für sie zurück, es sei denn an Michels Seite.
»Du darfst nicht tot sein«, flüsterte sie. »Ich brauche dich! Trudi braucht dich! Wir alle brauchen dich!«
Marie traten die Tränen in die Augen. Wenn sie ihr Glück wiedergewinnen wollte, musste sie den einmal eingeschlagenen Weg weitergehen, auch auf die Gefahr hin, dass sie dabei den Tod fand.
Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Trotzdem schritt sie scheinbar unbesorgt weiter, um ein unbelastetes Gemüt und ein gutes Gewissen vorzutäuschen.
Da lösten sich vier Krieger aus dem Schatten des Waldes und verlegten ihr den Weg. Doch sie war vorbereitet und hob grüßend die Hand. »
Dobrý den,
guten Tag!«
Die verwegen aussehenden Männer musterten sie überrascht von oben bis unten und schienen sich nicht sicher zu sein, was von ihr zu halten war. Schließlich trat der Patrouillenführer auf sie zu und sprach sie auf Tschechisch an.
»
Tak, kampak to jedme maličký?
Wo soll es hingehen, Kleiner?« Er klang misstrauisch, und Marie ahnte, dass ein einziges falsches Wort ihr Ende sein konnte.
Einen Erfolg aber hatte sie bereits aufzuweisen, denn der Mann hatte sie nicht als Frau erkannt, sondern hielt sie aufgrund ihrer Verkleidung für einen jungen Burschen. Sie räusperte sich und antwortete im kernigen Tonfall.
»Ich will die Eger rauf bis zur großen Biegung. Da, wo wir im ersten Feldzug die Königlichen niedergemacht haben.«
»Wir?«, fragte der Böhme spöttisch.
Marie senkte ein wenig den Kopf. »Na ja, selbst bin ich nicht dabei gewesen. Aber die Unsrigen haben gewonnen!«
»Die Unsrigen sagst du, Bürschchen? So gut kannst du unsere Sprache nicht, als dass ich dich für einen von uns halten würde!« Das Misstrauen des Mannes nahm zu, und zwei seiner Kameraden hoben bereits ihre Kurzschwerter.
Sie zog ein missmutiges Gesicht. »Daran ist mein Vater schuld! Warum musste er auch nach Konstanz auswandern? Er hätte genauso gut in Duchcov bleiben können. So musste ich unter lauten, strohdummen Němci aufwachsen. Vater hat mir zwar ein paar Worte seiner Sprache beigebracht, aber die Amme und der Hauslehrer haben mich nur Deutsch gelehrt. Jetzt ist Vater tot, und ich kann endlich nach Hause!«
Der Patrouillenführer sah sie aus zusammengekniffenen Augenlidern heraus an. »Deine Geschichte könnte stimmen oder auch nicht. Du solltest uns einen guten Grund liefern, warum wir dir glauben sollen.«
»Weil mich die Deutschen als Kind verprügelt haben, wenn ich ihnen gesagt habe, dass ich ein Čech bin!«, rief sie empört.
Jetzt wird es sich erweisen, ob ich mich richtig vorbereitet habe, dachte sie. Entweder kam sie mit Frechheit hier durch, oder aber … Diesen Gedanken wollte sie lieber nicht ausspinnen, sondern sah den Anführer grinsend an.
Dieser gab noch nicht auf. »Warum bist du so lange bei den Deutschen geblieben? In deinem Alter ist man Soldat und kämpft für seine
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