Die Rache Der Wanderhure
dorthin geweht wird«, antwortete Michel bitter.
Versonnen schaute der Graf in die beginnende Nacht hinein, in der die Lagerfeuer der Hussiten fern, aber bedrohlich loderten, und klopfte Michel auf die Schulter.
»Wenn Ihr eine neue Heimat gesucht habt, dann habt Ihr sie jetzt gefunden!«
Marat zwinkerte Michel zu, doch dieser achtete nicht darauf, sondern kämpfte mit seinen Gefühlen. Erneut sah er jene schöne Frau vor sich, die sein Freund sein Rentier genannt hatte, und fragte sich, ob es sie wirklich gab und sie womöglich irgendwo auf ihn wartete. Wenn er in den Nächten schlaflos auf seinem Bett lag, zermarterte er sich das Gehirn, um wenigstens einen Fetzen seiner Vergangenheit aufzuspüren. Doch in ihm waren nur Leere und eine gewisse Traurigkeit.
Ein tiefer Seufzer, den Sokolny ausgestoßen hatte, unterbrach sein Grübeln. »Ich bin alt und zu müde für die Ränkespiele der Politik«, sprach der Graf nachdenklich. »Auch bin ich zu weich, um meine eigenwillige Tochter im Zaum zu halten. Sie braucht eine stärkere Hand, die sie führen kann, und es wird Zeit für einen Erben, damit mein Haus weiterbesteht. Wenn Ihr meinen Namen annehmen wollt, Němec, gebe ich Euch meine Tochter zur Frau!«
Obwohl Marat erwartet hatte, dass sein Herr irgendwann einmal Michel als Nachfolger einsetzen würde, überraschte ihn diese Eile. Er musterte den Deutschen und sah dessen Augen freudig aufleuchten. Trotzdem schien Němec unsicher zu sein, vielleicht, weil ihn seine verlorene Vergangenheit quälte oder weil ihm alles zu schnell ging.
Da Michel nicht sofort antwortete, empfand Sokolny eine gewisse Enttäuschung. Er hatte sich mehr Begeisterung erwartet. Seine Tochter war eine – wenn auch sehr starrköpfige – Schönheit und hatte deutlich erkennen lassen, wie sehr ihr der Němec gefiel. Andererseits ehrte es den Mann, dass er nicht sofort zugriff. Sich ein Weib zu nehmen war eine wichtige Sache, die wohl bedacht werden wollte. Noch viel schwerer aber war es, sich die Verantwortung für einen Besitz wie Sokolny auf die Schultern zu laden, denn dazu waren nur wenige fähig. Der Deutsche war einer dieser wenigen, und der Graf traute ihm zu, sein Land künftig mit fester Hand vor allen Feinden zu schützen und es im Frieden klug zu leiten.
Michel hatte dieses Angebot erwartet, wenn auch nicht so rasch, und ihm schwirrte der Kopf, als er an die Möglichkeiten dachte, die sich daraus ergaben. Andererseits aber hatte er gezögert, den Fremden zu erschießen, und würde nun den Lohn einstreichen, der eigentlich Marat gebührte. Auch fragte er sich, was mit der unbekannten Schönen in seinen Träumen war. Würde der Gedanke an sie sich zwischen ihn und Janka stellen, und könnte er Sokolnys Tochter deshalb womöglich weniger Liebe schenken, als diese verdiente? Von Zweifeln geplagt, erwog Michel, um Aufschub zu bitten, damit er mit seinen Gedanken ins Reine kommen konnte.
Da klopfte Marat ihm auf die Schulter. »An deiner Stelle würde ich nicht zögern, Němec. Du hast gezeigt, was du als Krieger wert bist. Beweise nun der Komtesse, dass hinter dem Krieger auch ein ganzer Mann steckt.«
Sokolny war froh um Marats Unterstützung und fasste Michel um die Schulter. »Bald ist Johanni, und das ist ein guter Tag für ein großes Fest.« Damit klopfte auch er Michel auf die Schulter und wandte sich zum Gehen.
Als der Graf die von den Fackeln erhellte Treppe hinabstieg, sah Michel ihm sinnend nach.
Marat stieß ihm den Ellbogen in die Rippen. »Das waren eben große Worte an einen, der noch immer nicht weiß, wo sein Rentier ist!«
Mit einer heftigen Bewegung wandte Michel sich zu ihm um. »Dann sag du es mir! Immerhin bist du mein Lehrer.«
Marat schüttelte den Kopf. »Das war ich vielleicht bis zu dieser Stunde. Doch nun bist du der erkorene Nachfolger des Grafen Sokolny und damit bald mein neuer Anführer im Krieg.«
Nach diesen Worten verließ auch Marat den Wehrgang, und Michel blieb allein zurück. Die Fackel in seiner Nähe flackerte und erlosch. Mit einem Mal stand er im Dunkeln, und er sagte sich, dass dies wie ein Symbol seines Lebens war. Er war aus der Dunkelheit nach Sokolny gekommen und konnte nicht mehr rückwärtsschauen. Doch wie gut war es, nur noch an das Morgen zu denken?
11.
R uppertus’ Verstand hatte gelitten, aber wenn es um Winkelzüge ging, konnte er noch glasklar denken. Als er sich mit seinen Leuten dem Feldlager der Hussiten näherte, beobachtete er alles sehr genau und schloss so
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