Die Rache Der Wanderhure
Angst, sogar der Wind könnte sie an Ruppertus verraten.
Isabelle machte sie auf eine Nonne aufmerksam, die ein Stück entfernt auf einem Hügel stand und in ihre Richtung winkte. »Er wird gleich kommen!«
»Dann ist es gut!« Marie rutschte aus dem Sattel und führte ihr Pferd hinter ein Gebüsch. Isabelle tat das Gleiche, griff dann in eine Satteltasche und holte eine neue Marienstatue heraus. Nachdem sie diese geküsst hatte, lächelte sie Marie aufmunternd zu.
»Seid Ihr bereit?«
Marie zögerte ein wenig, dann nickte sie. »Ich bin bereit!«
Zu mehr kam sie nicht, denn jetzt klang Hufschlag auf, und kurz darauf sahen sie Ruppertus herankommen. Er wirkte so selbstzufrieden, dass Marie vor Zorn bebte.
Anders als sie begriff Isabelle de Melancourt, dass Ruppertus diesmal nicht hier anhalten, sondern an der Kapelle vorbeireiten wollte. Rasch trat sie ihm in den Weg und knickste. Dabei hielt sie den Kopf scheinbar demütig gesenkt, damit er ihr Gesicht nicht sehen konnte.
»Euer Exzellenz, ich erbitte Euren Segen für Marien und das Kind!«, sagte sie mit verstellter Stimme.
Mit der einen Hand zeigte sie ihm dabei die Statuette, fasste aber mit der anderen den Zügel seines Pferdes und hielt ihn fest. Ruppertus blickte auf sie herab und stieg nach kurzem Zögern aus dem Sattel. Immerhin hatte er hier schon mehrmals seine Stimme zum Herrn erhoben, und es mochte sein, dass ihm an diesem Ort eine neue Vision zuteilwurde.
Mit diesem Gedanken schlug er das Kreuz über der kleinen Madonna. »In nomine patris et filii et spiritus sancti. Amen. Gehet hin in Frieden!«
Er wollte sich bereits abwenden, als Marie auf ihn zutrat und ihn mit eisigem Blick musterte.
»Frieden werden wir nur finden, wenn du tot bist!«, stieß sie hervor und zückte das Schwert.
Doch ihre Hand zitterte, und sie spürte, dass es etwas anderes war, einen Mann wie Loosen in Notwehr zu töten, als jemand mit voller Absicht umzubringen.
»Was zögert Ihr? Tötet ihn endlich!«, forderte Isabelle sie auf.
Über Ruppertus’ vernarbtes Gesicht huschte ein spöttischer Ausdruck. »Sie kann es nicht, weil Gott sie es nicht tun lässt! Er hat mich berufen, Großes zu vollbringen, und dabei selbst den Nacken des Königs vor mir gebeugt. Doch ich brauche diese Hure nicht mehr. Gott hat mir gezeigt, dass du das Weib bist, das ausersehen wurde, meine Söhne zu gebären!« Noch während er es sagte, zog er den Dolch mit der vergifteten Spitze unter seiner Kutte hervor.
Im gleichen Augenblick packte Isabelle Maries Schwerthand mit der Linken. »Du wirst weder sie noch mich bekommen!«, rief sie hasserfüllt und spürte, wie die Starre von Marie abfiel.
Ehe Ruppertus’ Dolch Marie berühren konnte, stießen sie und Isabelle gemeinsam die Klinge in Ruppertus’ Brust.
Das Auge des Inquisitors drückte grenzenloses Erstaunen aus. »O Gott! Was ist mit meiner Bestimmung?«, entfuhr es ihm.
Der Dolch entfiel seiner Hand, und er starrte auf die kleine Madonna, die Isabelle noch immer in ihrer Rechten hielt. Ein Blutspritzer hatte den Kopf der Figur rot gefärbt.
»Diese Bestimmung gab es nie! Das war deine Einbildung, und nur aus ihr heraus hast du Tod und Verderben über viele Menschen gebracht!«, rief Isabelle.
Da richtete der Inquisitor sich auf, und es schien, als würde er auch die Klinge in seinem Leib überleben. Er bleckte die Zähne, und sein Auge versprach den Frauen Höllenqualen.
Marie und Isabelle wechselten einen kurzen Blick. Dann stießen sie ihm das Schwert tiefer in den Leib und nahmen erleichtert wahr, dass das Leben aus ihrem Feind herausrann.
Ruppertus’ erstarrtes Gesicht war eine einzige Anklage an Gott, der dieses Ende zugelassen hatte.
Isabelle trat zurück und schüttelte sich. In dem Augenblick entglitt das Schwert Maries kraftloser Hand und fiel auf den Leichnam. Sie selbst schwankte wie eine Birke im Sturm. Wie lange war sie von Ruppertus bedroht und ihres Friedens beraubt worden! Dennoch hätte sie beinahe nicht die Kraft gefunden, sich von ihm zu befreien.
Anders als sie fand Isabelle ihre Beherrschung rasch wieder. Angewidert wischte sie das Blut von der kleinen Statue und holte dann Maries Pferd.
»Reitet los! Eure Familie wartet auf Euch. Nun könnt Ihr und Eure Lieben in eine Zukunft schauen, die nicht mehr von diesem Mann verdüstert wird.«
Marie streifte die Nonnentracht ab, verabschiedete sich kurz von der Äbtissin und schwang sich aufs Pferd. Als sie sich noch einmal nach Ruppertus umdrehte, lag
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