Die Rache der Zwerge
Mauern ist nichts als zerriebenes Ziegelmehl geblieben.« Sie hielt ihm das Brot wieder hin, er verstaute es unter seiner Jacke.
»Samusin wird uns nicht im Stich lassen«, verabschiedete sich Franek und kehrte an seinen Platz zurück. Lia beendete ihr Mahl, wischte sich die Hände an der Hose ab und kehrte zum Einstieg zurück, vor dem ein offenes Zelt errichtet worden war. Unter dem Tuch, das als Schutz gegen die Sonne diente, unterhielten sich Tamäs und Ove, zwei der Baumeister, und studierten Pläne. Sie grüßte sie im Vorbeigehen. Tamäs, der Jüngere von ihnen, erwiderte ihren Gruß und blickte sie an. Er fand Gefallen an ihr und betrachtete sie daher mit weniger gelehrtenhaften Augen. »Du bist spät dran. Es sind schon zwei unten«, sagte er ihr zwinkernd. »Ich hoffe, es ist Platz genug. Andernfalls darfst du gern oben bleiben, uns Gesellschaft leisten und Karten zeichnen.«
Lia stutzte. »Verzeiht, Herr, wer ist unten?«
»Zwei Jungs, die ich nach unten sandte«, murmelte Ove, ohne die Augen zu heben. »Wir haben nicht mehr viel Zeit. König Bruron möchte endlich mit den Bauarbeiten beginnen. Die letzten Geheimnisse der Gewölbe müssen erkundet sein. Und da du eine Pause eingelegt hast, musste ich die runterschicken, die frei waren.« Er blätterte um und machte einen Vermerk auf dem Lageplan.
»Unten ist es gefährlich. Ich gehe besser zu ihnen.« Sie zwang sich zu einem Lächeln und sprang die Stufen hinab, hinein in den Keller.
Das hatte ihr noch gefehlt: Kinder. Ihre sonstigen Mitstreiter fürchtete sie nicht, sie blieben meistens in den engeren Regionen stecken, aber die noch jüngeren, biegsameren Körper bedeuteten eine harte Konkurrenz. An den Geräuschen erkannte Lia, dass sich die Jungen tief in das Gewölbe vorarbeiteten und sich irgendwo dort aufhielten, wo sich die große Kuppel befunden hatte. Sie unterhielten sich, sprachen über den guten Lohn und die Hoffnung, auf verborgene Schätze der einstigen Bewohner der Palastanlage zu stoßen.
»He, ihr Bengel«, rief sie und wand sich aalgleich zwischen den engsten Hohlräumen hindurch. »Verschwindet! Das ist mein Keller.«
»Hättest du wohl gern«, lachte einer von ihnen.
»Herr Ove hat uns befohlen einzusteigen«, rief der andere. »Beschwer dich bei ihm, wenn es dir nicht passt, dass wir den Schatz vor dir finden.«
Lia presste sich unter einem Quader hindurch, der bedenklich wackelte, als sie mit ihrem Oberkörper darunter lag. »Es gibt keinen Schatz«, sagte sie laut. »Hier ist es zu gefährlich für euch. Die Kammer ist nicht beständig.« »Wir haben viel Erfahrung«, klang es übermütig. »Und außerdem ...«
Schutt rutschte rumpelnd in sich zusammen, eine Staubwolke flog heran und raubte ihr die Sicht, sie hustete und schimpfte gleichzeitig. »Was ist?«, rief sie und rieb sich die Augen. »Lebt ihr noch?«
»Ich werd verrückt!«, hörte sie einen der Jungs aufgeregt sagen. »Da liegt einer zwischen den Trümmern! Ein alter Mann mit langem Bart.«
Lia gab sich Mühe, noch schneller vorwärts zu kommen. Es war geschehen! Nun galt es, einige Dinge zu verhindern. »Wo seid ihr?«
»Idiot!«, schnauzte der andere Junge seinen Freund an. »Du bist gegen den Stützpfeiler gestoßen und hast mich beinahe unter dem Dreck begraben! Und das ist kein Mann«, Bretter klapperten, »das ist eine Statue.« »Nein, ich war es nicht. Es ist von selbst eingestürzt«, verteidigte sich der Gescholtene, und endlich gerieten die Kinder in Lias Blickfeld.
Sie standen in einem kleinen Hohlraum, nicht größer als eine Abstellkammer, der sich durch einen Zufall aus ineinander verschobenen Säulen und Balken gebildet hatte. Zwischen ihnen lag eine Statue mit dem Gesicht nach oben. Sie war so lebensecht gestaltet, dass Lia sich über den Irrtum des einen Jungen kaum wunderte.
»Da steckt ihr!« Sie rutschte unter einer Strebe hindurch, ohne sie zu berühren, und stand auf. Langsam kam sie auf die beiden Finder zu, ihre Augen glitten über die Statue. Es stimmte alles. Jede Feinheit der Kleidung, jedes einzelne Barthaar, jedes Fältchen in dem alten Gesicht war zu erkennen.
»Als ob man einen Menschen zu Stein verwandelt hätte«, raunte der Größere der beiden ehrfürchtig. »Ein schönes Stück.«
»Es wird uns ein bisschen Geld zusätzlich bringen. Einer von den reichen Säcken wird sie für seinen Garten oder sein Arbeitszimmer haben wollen. Hat sich der Tag heute gelohnt«, nickte sein Freund und schaute skeptisch nach oben. »Wir werden von oben
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