Die Rache des Chamäleons: Thriller
blendeten alle, auch ihn. Niemand wurde verschont, alle wurden innerhalb von Sekunden blind.
Sie hatten es versprochen.
Sie hatten es versprochen!
War die Sonne schon hinter den weißen Bergen aufgestiegen, als es begann?
Auch zu Hause gab es einen Weißen Berg. Es gab Lieder darüber. Er hatte sie selbst gesungen. Auch die Lieder der Südküste hatte er gesungen, es gab viele. Wie naiv er gewesen war, dass er mitgesungen hatte! Getrunken und gesungen. Geträumt. Und geliebt, geliebt hatte er auch. Es war eigentlich keine Erinnerung, war viel weniger als eine Erinnerung, fast durchsichtig, zerfressen wie etwas, das im Begriff ist, sich aufzulösen, nachdem es viele Jahre der Sonne ausgesetzt war. Es war nicht nur die Erinnerung an Liebe, sondern auch an all das andere, und er hatte versucht, alle Erinnerungen zu verbrennen. Aber sie waren nicht so schwach wie die Liebe, die immer das Schwächste von allem ist, ganz gleich, was man darüber sagen mag.
Er richtet sich im Bett auf, kann keinen klaren Gedanken fassen. Er will sich nicht erinnern, will endlich vergessen. Es ist nichts mehr da. Das war eine frühere Inkarnation. Er ist jetzt ein anderer. Menschen können ein neues Leben anfangen.
Dies ist ein neues Leben, denkt er und spürt, als er aufsteht, den kühlen Holzboden unter den Füßen. Dieses Leben ist neu, solange ich mich erinnern kann.
Er geht in die Küche, gießt sich ein Glas Wasser ein und setzt sich an den Tisch.
Nur die Angst vergisst man nie.
Die Spannung ist größer als die Angst. Keine Spannung ohne Angst. Habe ich das Gefühl vermisst?
Er steht auf, will nicht darüber nachdenken, ob er es vermisst. Vielleicht würde er das alles bald wieder spüren, viel Spannung und viel Angst. Es lauert dort draußen. Er muss denken. Nachdenken. Sich erinnern. Seine Erinnerungen zurückholen. Sie könnten ihn vielleicht retten. Aber gleichzeitig handeln die Erinnerungen von dem, was ihn vernichten kann.
*
»Du bist richtig braun geworden«, sagte sie.
»Bald bin ich genauso braun wie du«, sagte er.
»Dann kannst du immer in der Sonne bleiben«, sagte sie.
»Vielleicht mach ich das.«
»Ich glaube nicht, dass du das tust.«
»Warum nicht?«
»Es ist zu gefährlich.«
»Nicht mehr lange«, sagte er.
»Es wird immer gefährlich sein, sich hier aufzuhalten. Hier bei mir zu sein.«
»Es ist nie im Leben gefährlich, mit dir zusammen zu sein, Naiara.«
»Weißt du, was mein Name bedeutet?«
»Naiara?«
»Nein, der Nachname. Mein Familienname, Ibarretxe.«
»Ich kann ihn kaum aussprechen.«
»Du machst es gut. Du bist sprachbegabt. Ibarretxe bedeutet Haus im Tal.«
»Ein hübscher Name. Aitor hat es mir erklärt.«
»Aitor?«
»Ja, er hat mir die Bedeutung von baskischen Namen erklärt.«
»Es ist ein schönes Land«, sagte sie.
»Ich möchte es gern einmal sehen.«
»Aber es ist kein selbständiges Land.«
»Irgendwann wird es das sein.«
»Daran müssen wir glauben.«
»Glaubst du denn nicht daran?«
»Das genügt nicht, selbst wenn ich so fest glaube, dass Glas zerspringt.«
»Man sagt, Glaube kann Berge versetzen.«
»Eine weitere von Gottes Lügen.«
»Naiara …«
»Glaubst du an Gott?«
»Ich weiß es nicht«, sagte er.
Er weiß es immer noch nicht. Das ist eine der Fragen, auf die er nie eine Antwort bekommen wird. Dafür reicht ein einziges Leben nicht.
Er schließt die Haustür auf und stellt sich auf die Treppe. In der Luft ist eine Schärfe, die gestern noch nicht da war. Über Nacht ist es Herbst geworden.
Die Garagentür öffnet sich lautlos in der Dunkelheit. Es ist sehr still. Die Menschen in den Einfamilienhäusern rundum schlafen noch oder verhalten sich wenigstens leise. Es ist nach drei, bald vier, die Stunden zwischen Nacht und Morgen, Wolfsstunden, wie die Schweden sie nennen.
Der Angriff hatte in den Wolfsstunden stattgefunden. Die übliche Zeit für Angriffe, zur Unzeit, wenn man am verletzlichsten ist.
Das Auto ist nicht abgeschlossen. Im Handschuhfach liegt noch das Handy. Er hat es nicht angerührt, seit er den Wagen in der Garage abgestellt hat, er kann sich nicht erinnern, ob es gestern war oder vor fünfundzwanzig Jahren. Das Auto ist jetzt, das Handy war damals, es gehört nicht hierher. Er sollte die Karte herausreißen und den Apparat von der Skanstullsbrücke werfen.
Und zur Polizei sollte er gehen. Nein. Er weiß, dass sie Kontakt zur Polizei niemals dulden würden. Und er ist nicht allein. Wenn er alleine wäre, könnte er fliehen.
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