Die Rache des Chamäleons: Thriller
sitzt Rita.
Es ist endlich Morgen. Rita verlässt das Hotel durchs Entree und geht in die Stadt.
Aitor Usetxe beobachtet sie durch die getönte Autoscheibe. Er raucht eine Zigarre. Der Fahrer hinter dem Lenkrad hustet. Er stößt mehr Rauch aus. Er hat Leben nachzuholen, viel Leben.
Rita verschwindet hinter einer Ecke.
Aitor sieht Peter aus dem Hotel kommen. Er überquert die Straße und geht auf Aitors Limousine zu.
Rita geht an den Fassaden der schmalen Gasse entlang. Die Fassaden sehen frisch renoviert aus, neu gestrichen. Es riecht nach etwas, das sie noch nie gerochen hat, Kalk wahrscheinlich. Sie kommt von einem Ort, wo nie Kalk verwendet wurde.
Ein streunender Hund trottet vorbei, ohne sie zu beachten. Die Zunge hängt ihm aus dem Maul, als herrschte bereits Mittagshitze.
Zwei ältere, schwarz gekleidete Frauen sitzen auf Schemeln vor einer Tür und putzen Gemüse. Die Tomaten leuchten rot wie Blut in den scharfen Schatten. Blut, sie denkt an Blut.
Blumentöpfe und Töpfe mit Sträuchern stehen aufgereiht wie Soldaten entlang beider Seiten der Gasse. Sie denkt an einen Soldaten, in dessen Gewehrlauf eine langstielige Rose steckt. Wo hat sie das Bild gesehen? War das nicht hier irgendwo? Hier in der Nähe, auf einer der Halbinseln?
Von irgendwoher ertönen Hammerschläge. Die Schläge hallen durch die Gassen, durch die dünne Luft. Sie hat das Gefühl, als würden sie ihren Kopf treffen, mit jedem Schlag, der durch die Gasse hallt.
Was mache ich hier, denkt sie. Es ist, als wäre sie aus sich herausgetreten und ginge neben sich her und stellte sich selbst die Frage.
Noch eine Frage: Wie bin ich hierhergeraten? Was hat mich veranlasst hierherzukommen? Es gibt so vieles, was du nicht verstehst, sagt sie zu sich selbst, als sie das Ende der Gasse fast erreicht hat. Du weißt so vieles nicht von dir, und du weißt noch weniger von deinem Mann. Wüsstest du mehr, wärest du jetzt nicht hier. Du hättest mehr Fragen gestellt. Wärst nicht so naiv gewesen. Aber Naivität ist eine gute Sache. Naivität ist besser als Zynismus. Wer naiv ist, sieht die Welt in einem hellen Licht. In der Welt der Naiven gibt es mehr Licht als Dunkelheit.
In irgendeinem Haus beginnt ein Kind zu weinen. Das Weinen wird lauter mit dem leichten Wind. Das Weinen hört auf.
Die Gasse mündet in eine andere Gasse. Rita geht nach links und weiter bis zu einem kleinen Café. Vor der Tür stehen ein wackliger Tisch und drei leere Stühle. Sie betritt das Lokal. Hinter der kleinen Theke ist niemand. Auf einem Bord hinter der Theke steht ein eingeschalteter Fernseher, eingerahmt von Schnapsflaschen.
An einem der Tische sitzt eine Frau. Allein. Rita und die Frau sind allein in der Bar. Der Tisch vor der Frau ist leer, keine Gläser, keine Tassen, nur eine Tischdecke, die rostfarben und weiß im Dämmerlicht glüht. Rita wirft der Frau einen schnellen Blick zu und schaut dann auf den Bildschirm. Dort scheint eine Talkshow zu laufen, ein Morgenprogramm, ein Vormittagsprogramm. Drei Männer sitzen auf einem Sofa einer Frau gegenüber, die offenbar die Moderatorin ist. Sie ist schön. Sie muss um drei Uhr nachts aufgestanden sein, um sich so schönzumachen, denkt Rita.
Das Fernsehen zeigt einen der Männer in Nahaufnahme. Er fährt mit der Hand durch die Luft.
»Der Terror hat den Süden wieder erreicht, und davor dürfen wir keine Sekunde die Augen verschließen«, sagt er.
»Warum ausgerechnet jetzt, Señor Montañas?«, fragt die Frau.
»Es geht immer um Aufmerksamkeit«, antwortet er. »Die größtmögliche Aufmerksamkeit.«
»Dann sollten wir in diesem Augenblick wohl eher nicht hier sitzen und reden.« Die Programmleiterin lächelt andeutungsweise.
»Wir müssen gleichzeitig Präsenz zeigen«, sagt der Mann. Vielleicht lächelt er ebenfalls schwach. »Die guten Kräfte müssen sich zeigen.«
Die Frau am Cafétisch erhebt sich. Sie geht wortlos an Rita vorbei und verschwindet hinter einem Vorhang, der eine Tür neben der Theke verdeckt.
Es ist ein einfacher Raum. Die Leuchtröhre an der Decke wirft ein scharfes Licht auf die beiden Männer, die an dem Tisch mitten im Raum sitzen. Es dauert eine Weile, ehe der eine von ihnen bemerkt, dass es kein Fenster gibt. Warum gibt es kein Fenster, denkt er.
Hinter ihm stehen zwei Männer, ganz still, wie versteinert. Vielleicht lehnen sie sich gegen die Wand, denkt er. Sonst ist es kaum möglich, so still zu stehen. Er kann eine Menge denken in dem langen Zeitraum, in dem niemand etwas
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