Die Rache des Kaisers
wenn man aufs Essen und Schlafen verzichtete. Sobald an einer Stelle nicht mehr von der Mauer gefeuert wurde, näherten sich draußen die Türken, füllten die Gräben mit Reisigbündeln und begann sie unter der Mauer und vor den Türmen aufzuschichten. Zu weiterer Erheiterung schickte der Serasker sturmbereite Truppen vor andere Tore, wo sie manchmal einen ganzen Tag lang Scheinangriffe ausführten und noch mehr Soldaten banden.
Dann häuften sich bei uns die Verluste, weil die Geschütze des Feindes immer näher an die Mauer gebracht wurden und entsprechend tiefer in die Stadt feuern konnten. Jeden Tag machten wir Ausfälle, um die Belagerer zu behindern, wenn schon nicht zu vertreiben; diese Ausfälle kosteten viele Männer das Leben und zogen sie zugleich von der Mauerwache und den Stollenarbeiten ab. An einem dieser Tage, die eine lange Kette aus kaum zu unterscheidenden Gliedern waren, Mühsal und Blut und Hunger und Erschöpfung, wurden etliche von uns zusammen mit einem Teil der Spanier eilig nach Osten verlegt, wo die türkischen Flußschiffe plötzlich aufgetaucht waren und zusätzliche Truppen landeten. Ich hatte mich inzwischen bei solchen Einsätzen zu einer Gruppe Bogenschützen gesellt und war mit meiner Treffsicherheit zufrieden. Sofern ich außer Müdigkeit überhaupt etwas empfand. Ob der Angriff eine weitere Ablenkung sein sollte oder ein ernsthafter Versuch, ist unerheblich; er mußte ernstgenommen werden, und ich glaube, es war vor allem das schnelle und tödliche Feuer der spanischen Arkebusiere, das uns an diesem Tag rettete.
Auch im Norden waren immer wieder Ausfälle und Aufklärungsritte zu unternehmen. Von dort sollte die Verstärkung aus dem Reich kommen, und für abgehende sowie eintreffende Boten mußten Wege freigekämpft werden.
Dann halbierte Fähnrich Seydel die Torwache und die Bogenschützengruppe. Avram blieb am Tor; Karl und ich gehörten zu denen, die nur mit Piken und Schwertern in die Unterwelt geschickt wurden. Es war dort zu dunkel, nicht genug Licht für Bogenschützen, und da die Belagerer Lunten und Pulverfässer in die Stollen gebracht hatten, durfte und mochte niemand zu Feuerwaffen greifen.
Dies war die Hölle. Ich hatte schon mehrmals angenommen, die Hölle zu kennen. Der Blick auf das Dorf, in dem Unbekannte meine Familie und alle anderen töteten, verbunden mit den ersten schlimmen Gedanken an das Fehlen Gottes in der Schöpfung. Die Tage der Plünderung Roms, die Leichen und das Feuer, die Ratten und die Fliegen. Aber nichts davon war zu vergleichen mit dem Ringen unter der Erde. Das Stöhnen und die Schreie von Männern, die zukkend und sich windend verbluteten, weil Freund und Feind zu beschäftigt waren für den Gnadenstoß; die düsteren Stollen, in denen man nur gebückt gehen und stehen und kämpfen konnte. Harte schnelle Stiche, das ekelerregende dumpfe Eindringen der Klinge in den Leib; flackernde Öllampen, deren Glas keiner zerbrechen mochte, um nicht eine herumliegende Lunte oder eines der vielen Pulverfäßchen zu zünden; zum Atmen stickiger Gestank, der nicht schmeckte wie Luft, sondern wie ausgewürgte, geschichtete Schurkenseelen. Sperrt hungrige, müde, ungewaschene Männer mit Waffen in unterirdische Gänge, und ihr werdet euch nach einem Teufel sehnen, der dem Grauen einen Anschein von Ordnung und Größe gäbe.
Ich weiß nicht mehr, wie oft und wie lange ich dort unten war, und auch nicht, wie viele Gegner ich aus dieser wirklichen in die andere mutmaßliche Hölle geschickt habe. Ich erinnere mich jedoch noch an das Gefühl von Erleichterung,
als irgendwann der Stollenabschnitt, in dem ich mich befand, nach einer matten Explosion zusammenbrach. Ich wurde von Trümmern begraben und verlor das Bewußtsein in der Gewißheit, sterben und den Hades verlassen zu dürfen. Aber Karl zog mich heraus und schleppte mich zurück ins Leben.
VIERUNDZWANZIG
H ab ich dir schon gedankt?« Im schalen Licht des Mondes, der durch einen Wolkenspalt schielte, sah ich undeutlich Karls Gesicht: verstrüppt, verdreckt, von Müdigkeit gefurcht und von einem breiten Grinsen wie geschlitzt.
»Viermal. Reicht jetzt.«
Avram hatte irgendwo eine Flasche mit saurem Wein aufgetrieben. Wir wußten, daß er schlecht war, aber zugleich war er Nektar, Erquickung an diesem Abend und Verheißung auf ein besseres Morgen. Ohne Türken, ohne Kanonen, ohne Stollen.
»Hier.« Avram reichte mir die Flasche; sie war kaum noch halbvoll.
Ich trank und gab sie Karl. Irgendwo
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