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Die Rache des Kaisers

Titel: Die Rache des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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kaum.
    Inzwischen waren alle nicht unmittelbar bedrohten Tore vermauert worden, so daß von ihrer Verteidigung Leute abgezogen und auf die südlichen Abschnitte verteilt wurden.
    Nach Sichtung der Vorräte und Zählung der noch einsatzfähigen Männer wurden bisher unberührte Proviantlager geöffnet; jede Rotte erhielt vom 1. Oktober an täglich einen Ochsen, acht Brote und fünfzehn Kannen Wein. Acht Brote für zwölf Männer … wenig, aber viel mehr, als wir in den Tagen seit Beginn der Belagerung bekommen hatten. Die meisten der Ochsen waren Greise, deren letzte üppige Fütterung in ihrer Jugend stattgefunden hatte. Und nach zwei oder drei Tagen wurde die Menge des ausgegebenen Weins halbiert.
    Ausfälle, Verluste, Rückzüge, neue Ausfälle. Jeden Tag zwei Dutzend Tote und etliche, die den Rückweg nicht rechtzeitig antreten konnten und in Gefangenschaft gerieten.
    Die Feuergeschwindigkeit der Belagerungsgeschütze nahm ständig zu. Der Kärntnerturm wurde so stark beschädigt, daß die ihrer Deckung beraubten und größtenteils bereits verwundeten Büchsenmeister das Schießen einstellen mußten; ein Geschütz zersprang. Da die Verteidiger mit Kugeln, Pfeilen, aber auch Brandgeschossen überschüttet wurden, konnten erst in der Nacht die Schäden ausgebessert und neue hölzerne Brustwehren hergestellt werden.
    Die Reiter wurden nun auf die Verteidigungsabschnitte
verteilt; sie sollten, da die Pferde überflüssig geworden waren, Schulter an Schulter mit den Landsknechten kämpfen. Sie taten es auch, und anders als sonst gab es kaum böse Worte zwischen den Herren hoch zu Roß und dem gemeinen Volk. Alle waren zu erschöpft, und alle wußten, daß in den nächsten Tagen die Entscheidung fallen mußte.
    Aber vor den Preis haben die Götter bekanntlich den Schweiß gesetzt, und vor die rettende Entscheidung die Katastrophe. Beinahe jedenfalls. Der Kriegsrat war zur Überzeugung gelangt, daß Verteidigung allein nicht ausreichen würde, um Wien zu halten. Falls es den Türken gelänge, mehrere Minen gleichzeitig zu zünden und eine breite Bresche in die Mauern zu sprengen, wäre angesichts der ungeheuren Überlegenheit der Belagerer die Stadt verloren. Nur ein Ausfall mit starken Kräften, der imstande war, die Türken von der Mauer zu vertreiben und ihre Minen zu zerstören, konnte das Unheil abwenden und es möglich machen, bis zur Ankunft des Entsatzheeres durchzuhalten.
    Zu einem solchen Unterfangen reichten die an der Südseite verteilten Truppen jedoch nicht aus. Und ein Vorstoß in die versammelte Hauptkraft des Gegners war vollkommen sinnlos. Nur mit Soldaten aus allen Abschnitten war eine genügend starke Streitkraft aufzubringen, und Art, Schnelligkeit und Reichweite des Vorstoßes mußten peinlich genau festgelegt werden.
    Aber wie es im Reich nun einmal ist, konnte Graf Salm als Oberbefehlshaber nur über die königlichen Truppen verfügen. Natürlich hatten wir, die Männer, von deren Kraft und Blut alles abhing, allenfalls Hohngelächter für die politischen Verhältnisse und Befehlsketten übrig. Nicht einmal nun, da es um den Fortbestand von Wien und um den Schutz der weichen Südostflanke des Reichs ging, konnten die edlen
Herren sich über Vorbehalte und Zuständigkeiten hinwegsetzen. Wie wir hörten, ließ Pfalzgraf Philipp am 5. Oktober nachmittags alle Hauptleute der Besatzung versammeln, um auszulosen, welche Fähnlein am Ausfall teilnehmen sollten. Nur so war es möglich, auch die Reichstruppen heranzuziehen.
    Einundzwanzig Fähnlein, fast die Hälfte der ganzen Besatzung, wurden bereitgestellt. Der Ausfall sollte aus verschiedenen Toren zugleich stattfinden; vorgesehen waren mehrere Ablenkungen und Flankenangriffe sowie der Hauptstoß gegen den Rücken des Feindes und seine Geschütze. Es konnte jedoch nur dann gelingen, wenn alles schnell, leise und überfallartig erfolgte.
    Noch vor Morgengrauen verließen wir am 6. Oktober mit etwa achttausend Mann die Mauern beim Salztor, zogen durch die Fischervorstadt, dann durch den Stadtgraben um die halbe Stadt zur Südfront. Auf dem langen Weg kam es zu Verzögerungen; es war schon heller Tag, als wir in die Nähe der Burg und des Kärntnertors gelangten. Und wenn uns die Türken bis dahin noch nicht bemerkt hatten, wurden sie durch das Gebrüll eines halbbetrunken Landsknechts gewarnt.
    Die Janitscharen empfingen uns mit einem Hagel von Geschossen. Unter den Soldaten brach Verwirrung aus, die bald in Panik überging. Die Rotten fluteten gegen

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