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Die Rache des Kaisers

Titel: Die Rache des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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die Mauer zurück. Sogar die Spanier konnten sich nur unter schweren Verlusten zurückziehen. Im Stadtgraben fielen die Nachdrängenden in die Spieße der bereits unten befindlichen; wahrscheinlich haben wir an diesem Tag mehr Männer durch die eigenen Waffen als durch Geschosse und Säbel der Türken verloren.
    Hinterher hörten wir, daß an der Ostseite die Verluste
noch schlimmer gewesen seien. Auch dort kam es beim türkischen Gegenangriff zu wilder Flucht, und aus Furcht davor, daß der Feind mit den Fliehenden in die Stadt eindringen könnte, wurde das Tor vorzeitig geschlossen, so daß der größte Teil der noch draußen Verbliebenen unter den Streichen der Türkensäbel fiel.
    Karl, Avram und ich gehörten zu den Rotten, die sich plötzlich vor dem Kärntnertor wiederfanden. Inzwischen waren die Janitscharen selbst zum Angriff übergegangen. Mehrmals gelang es ihnen, bis an die Mauer heranzukommen. Ein Hauptmann - ich glaube, es war Eck von Reischach - ließ uns von Piken starrende Vierecke bilden. Mühsam und unter Verlusten gelang es uns, den Ansturm der Reiter abzuwehren. Alle drei erlitten wir Verletzungen, die uns an den nächsten Tagen zu schaffen machten, aber keine bleibenden Schäden hinterließen.
    Mehr als fünfhundert Männer fielen. Die Besatzung der Stadt war vermindert, das Ziel des Angriffs nicht erreicht. Am späten Nachmittag begann es wieder zu regnen; wir saßen unter einem Vordach und schauten durch das von der Kante triefende Wasser auf eine schartige Mauer, wo sich Schwärme schwarzer Vögel sammelten.
    »Die Seelen unserer Vorfahren?« sagte Karl.
    Avram kicherte, aber es klang nicht heiter. »Aus der Zukunft gekommene Seelen der letzten Verteidiger, nach dem Ende der Schlacht«, sagte er.
    Ich hob die Schultern. »Krähen«, sagte ich. »Glaubt ihr nach Rom und Wien ernsthaft noch an Seelen?«
     
    Am nächsten Tag sahen wir von den Mauern aus Kamelkolonnen, die Reisig, Holz und Rebenbündel zur Auffüllung der Stadtgräben brachten. Die gesamte Streitmacht Wiens
bereitete sich auf einen neuen türkischen Angriff vor, der dann jedoch ausblieb. In der Nacht loderten mächtige Feuer ringsumher, und die müden Männer mußten die ganze Nacht über in Bereitschaft bleiben.
    Das katastrophale Ende des Ausfalls vom 6. Oktober hatte uns jeden Mut zu weiteren Angriffen genommen. Es hätte auch nicht mehr genug Männer dafür gegeben. Alle Abteilungen meldeten Abgänge: Verwundete, die ihren Verletzungen erlagen, und Überläufer, die lieber bei den Türken leben als in der Stadt sterben wollten.
    Und es brachte ein Bote einen Brief des Pfalzgrafen Friedrich, dessen Inhalt der Kriegsrat sofort verbreiten ließ. Friedrich schrieb, binnen weniger Tage werde er mit etwa fünfundzwanzigtausend Mann zu Pferd und zu Fuß von Krems aufbrechen. Wer wollte bei der Aussicht auf Entsatz noch einmal unter ungünstigeren Bedingungen ein Gefecht vor der Stadt wagen?
    Wegen der großen Verluste wurde nun auch die bewaffnete Bürgerschaft zur Verteidigung befohlen. Neue türkische Angriffe fanden zwar statt, der befürchtete Großangriff blieb jedoch aus, und wir gingen wieder zur alten Wachordnung zurück - zwölf Stunden Dienst, zwölf Stunden Rast.
    Um Vorgänge innerhalb der Mauern konnte sich niemand wirklich kümmern. Gerüchte über Gemeuchelte, über ausgeplünderte Leichen mit gräßlichen Wunden, die nur von Werwölfen oder anderen Ungeheuern stammen konnten, liefen um; man hatte hier und da den Teufel selbst gesehen, samt Hörnern und Bocksfuß.
    Überläufer gab es auf beiden Seiten - die aus der Stadt geflüchteten Leute verrieten den Osmanen zweifellos, wie schlecht es um die Stimmung, die Vorräte und die Zahl der Kämpfer bestellt war; die aus dem türkischen Lager in die
Stadt gekommenen wiederum berichteten, auch bei den Belagerern herrsche Mangel an Nahrungsmitteln. Zudem leide man sehr unter der naßkalten Herbstwitterung, Krankheiten seien ausgebrochen, die Ruhr forderte viele Opfer.
    Angesichts dessen ging man im Kriegsrat davon aus, daß der Großangriff bald folgen mußte. Sicherlich würden die Türken dank ihrer schweifenden Renner und Brenner, der Akindschi, wissen, daß das Entsatzheer bald käme, und wenn sie vor dem Winter noch etwas ausrichten wollten, blieb ihnen nicht mehr viel Zeit.
    Sprengungen, Scharmützel, Scheinangriffe, unausgesetztes Geschützfeuer: Zermürbung. Bei einem Ausfall über und unter der Erde gelang es uns, acht Tonnen Pulver zu erbeuten und mindestens zwei

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