Die Rache des Kaisers
dem Weg zum Ziel, oder den Zielen, waren wir kaum einen Schritt weitergekommen. Der Zufall, der so oft über mich gekommen war, schien sich in anderen Weltgegenden anderen Opfern oder Begünstigten zugewendet zu haben. Avram hatte bei sich längst beschlossen, daß die Suche vergeblich und die Männer entweder schon tot oder auf der anderen Seite der Erde seien. Karl schwankte, ob er sich einem gottlosen Einsiedlertum weihen oder mich weiter begleiten sollte. Und ich? Ich war nahezu ohne Hoffnung, aber etwas sagte mir, daß hinter der nächsten Wegbiegung oder jenseits des Hügels ein Hinweis meiner harren mochte, und wenn ich den nächsten Schritt nicht täte, wäre auch alles bisher Erreichte sinnlos geworden.
Überall, wo wir uns länger aufhielten, sprachen wir mit alten oder nicht ganz so alten Soldaten. Viele hatten in Italien gekämpft, und zwei oder drei hatten tatsächlich von Zamora, Castelbajac oder Symonds gehört, wußten aber nichts aus der jüngeren Vergangenheit.
Da wir immer wieder edle Steine zu Geld machen mußten,
konnte ich viele - oft weit gereiste - Kleinodien-Händler nach reisenden Bankherren befragen, und überall, wo große Bankhäuser Niederlassungen besaßen, erkundigte ich mich nach jenem, der vielleicht Franz oder Francesco oder möglicherweise sogar François Masinger oder Messing oder Mazzini hieß.
Und wir ertrugen einander. Lange Stunden des Schweigens wechselten sich ab mit noch längeren des Redens. Immer wieder fochten und rangen wir miteinander, um kampfbereit zu bleiben. Und um uns nicht zu langweilen. Ich gelangte zu einer befriedigenden Fertigkeit im Umgang mit Pfeil und Bogen, Avram entdeckte für sich die Kunst des Messerwerfens, und Karl bastelte an kleineren, schneller zu ladenden Armbrüsten herum.
In Lyon hörten wir, ein Abgesandter des Papstes habe vor wenigen Wochen dort mit Vertretern des Königs verhandelt, und bei ihm seien einige Priester oder Mönche mit unaussprechlichen Namen gewesen, vermutlich Ungarn oder gar Tataren. Der Abgesandte hieß Mantegna, und ich dachte an den päpstlichen Gesandten, der Venedig aufgesucht und zu dessen Begleitung Piranesi gehört hatte. Es war mir aber nicht möglich, mehr über ihn in Erfahrung zu bringen.
In Toulouse sprach und zechte ich einen Abend lang mit einem dort seit Jahren ansässigen Genuesen, Vertreter des Banco di San Giorgio. Von ihm erfuhr ich, daß François I. zur Zeit teils unmittelbar - aus eigener Schatulle und mit königlichen Kurieren -, teils mittelbar über Bankanleihen und die Nutzung der verzweigten Bankwege größere Summen in den Osten schaffen ließ, nach Ungarn.
Ohne große Erwartungen, eher aus Gewohnheit nannte ich auch ihm, wie so vielen anderen, die Namen Zamora, Castelbajac und Symonds.
»Die zwei anderen sagen mir nichts, aber Castelbajac?« Er blickte mich über den Rand seines Bechers an, und als er weitersprach, dämpfte er die Stimme; nicht, daß uns in der lauten Schänke am Ufer der Garonne jemand hätte belauschen können. »Ein sehr altes, sehr vornehmes Geschlecht«, sagte er, »eine der ältesten Familien der Gascogne. Verwandt mit den Königen von Navarra. Aber … Jérôme? Nie gehört.«
»Wüßtet Ihr einen, der mehr darüber weiß? Vornehme Familien werden einem Hergelaufenen wie mir kaum Auskünfte geben, fürchte ich.«
Er nickte. »Hochmütige Gascogner reden auch mit einem genuesischen Bankherrn nur dann, wenn sie Geld brauchen. Aber es könnte sein … Wie heißt er noch gleich?« Er kniff die Augen zusammen, starrte in den Becher, dann nickte er abermals und nannte mir den Namen eines Schreibers, der nun zu alt geworden sei, um weiterhin in der Bibliothek des Bischofs zu arbeiten. »Kennt sich mit sämtlichen Chroniken und Fürstengeschlechtern bestens aus, und da er kaum noch Einkünfte hat, wird er sich für eine Münze oder zwei sicher lustvoll erinnern.«
Der alte Mann tat dies. Es habe in keinem der Zweige der Familie in den letzten Jahrzehnten einen Jérôme gegeben, sagte er; vielleicht handle es sich um einen Bastard, der fern der Heimat mit dem Namen seines Erzeugers prahle.
»Möglich ist aber auch«, setzte er hinzu, »daß er einfach aus dem Dorf Castelbajac kommt und sich deswegen ›de Castelbajac‹ nennt.«
»Ein Dorf? Wo liegt es?«
»Am Fuß der Pyrenäen, vielleicht zehn oder fünfzehn Meilen östlich von Tarbes.«
Wir ritten nach Castelbajac. Dort erfuhren wir, daß es tatsächlich einen Bauernsohn namens Jérôme Deschamps gegeben
hatte.
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