Die Rache des Kaisers
bringen, ein Konzil der Erneuerung einzuberufen, und mochte nicht das Wagnis eingehen, seine Stütze zunächst weiter zu schwächen, daß sie gesunde und später stärker werde. Denn in der durch erzwungene Erneuerung bewirkten Schwäche konnte sie brechen, und mit ihm seine Macht.
So ging alles weiter wie zuvor. Frankreich schickte noch
1527 ein neues Heer in die Lombardei, Venedig griff abermals nach Mailand, und die Söldnerhorden zogen brennend und mordend durch Italien.
Avram, Karl und mir gelang es, dem wahrhaft arkadischen Strudel zu entkommen. Zunächst blieben wir noch einige Tage in einem der Häuser westlich der Piazza Navona, in dem kleinen Fleckchen Roms, das von Hoyos’ und Guajardos Männern gesichert wurde. Wir holten unsere beiden letzten Pferde - die beiden anderen hatten wir gegessen - und sonstigen Habseligkeiten aus dem Schuppen an der aurelianischen Mauer und begannen, die ungeheuren Mengen an Münzen gegen Edelsteine zu tauschen. Wie sollten wir denn unsere Schätze befördern - Dukaten im Gewicht von fünf bis sechs Männern?
Vor allem: Abgesehen von derlei Tauschgeschäften, Beute gegen Beute, gab es in Rom nichts zu kaufen. Die Vorräte aus Piranesis Villa waren bald aufgezehrt, und auch das spanische Fähnlein begann zu hungern. Das Land um Rom war verwüstet, goldgesättigte Söldner streiften umher, in der meist vergeblichen Hoffnung auf Brot oder Fleisch. Unsere beiden Pferde, für die es auch kein Futter mehr gab, halfen uns gebraten beim Überleben und machten uns bei den Spaniern für ein paar Tage beinahe noch beliebter als die Dukaten, zu denen wir ihnen verholfen hatten.
Es begann die schlimme Zeit der Pestilenz. Abertausende Leichen lagen im römischen Frühsommer auf den Straßen und in den Häusern, am Tiberufer und in Schächten. Myriaden Fliegen bildeten einen zweiten Boden oder, wenn die Millionen Ratten sie aufstörten, einen zusätzlichen Himmel. Wo wenigstens ein Anschein von Ordnung herrschte und Leichen beerdigt oder verbrannt wurden - so um die Piazza
Navona -, war es nicht ganz so furchtbar, aber die Ratten und Fliegen kamen überall hin, und sie trugen das Entsetzen mit sich.
Wir hatten Glück - Hoyos sei Dank. Er mußte eine Gruppe Adliger und Gesandter, die - wiewohl geplündert - überlebt hatten, unter Bedeckung nach Ostia bringen, wo sie sich einschiffen wollten, und er gestattete uns, ihn zu begleiten.
Da wir über Geld verfügten, war es nicht schwierig, auf einem der Schiffe unterzukommen. Unterwegs hatten wir uns beraten und beschlossen, zunächst einmal Italien zu verlassen. Niemand wußte, wohin Symonds sich gewandt hatte - er konnte ebenso namenlose Leiche sein, römischen Fliegen, Raben und Ratten zur Ergötzung, wie Teil einer der zahllosen Söldnergruppen, die mit Gold, aber ohne Brot durchs Land zogen. Vielleicht hatte er sich über Ostia nach Spanien, Frankreich oder in die Berberei begeben.
Gleiches galt für Jérôme de Castelbajac und Alonso Zamora, falls sie überhaupt noch lebten. Und da war dann auch noch jener geheimnisvolle Mann, der sich Franz Masinger, Franziskus Messing, Francesco Mazzini oder inzwischen ganz anders nannte und von dem ich Aufschlüsse über die Vergangenheit zu erhalten hoffte.
»Suchen oder auf Zufälle warten?« sagte Avram, als wir die vor der Tibermündung liegenden Schiffe betrachteten.
»Auch beim Suchen wären wir auf Zufälle angewiesen«, sagte Karl. »Vielleicht sollten wir später suchen, wenn die Möglichkeiten besser sind.«
»Die des Zufalls?« Avram gluckste. »Man könnte meinen, daß deiner Ansicht nach der Zufall nur dann richtig arbeiten kann, wenn Ordnung herrscht.«
»Wenn alles Chaos ist, arbeitet der Zufall ganz prächtig, man kann ihn aber nicht erkennen.«
»Ihr zufälligen Philosophen«, sagte ich, »seid gerade dem Chaos zufällig entronnen. Ich wäre dafür, irgendwo zu warten, wo nicht so viele Leichen herumliegen, und erst dann wieder nach Italien zu gehen, wenn es ein wenig ruhiger geworden ist.«
Avram nickte. »In hundert Jahren ungefähr?«
»Du mußt nicht immer das Beste von den Menschen erwarten; du könntest enttäuscht werden.« Karl schnalzte.
ZWANZIG
M it unseren Waffen - ich nahm den Reiterbogen mit -, unseren Bündeln und unseren Schätzen gingen wir an Bord eines Schiffs, das nach Marseille fuhr.
Zwei Jahre später hatten wir Tausende Meilen zurückgelegt, Hunderte Weinkrüge geleert, zahllose Herbergen und Schänken, Dörfer und Städte besucht, aber auf
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