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Die Rache des Kaisers

Titel: Die Rache des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Vor fünfundzwanzig Jahren habe er einen Steuereinnehmer erschlagen und sei seither verschwunden. Er müsse inzwischen über vierzig sein. Ja, er habe schon als Junge eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Raubvogel gehabt, und nein, von der Familie lebe keiner mehr.
     
    Im Herbst waren wir auf dem Weg nach Paris und machten Halt in Poitiers. Dort hörten wir, die Kämpfe in Norditalien seien abgeflaut und würden wohl erst im Frühjahr wieder zu voller Pracht erblühen. Und hier kreuzte, zum ersten Mal nach langer Zeit, mein alter Freund-und-Feind Zufall meinen Weg.
    Ein Benediktiner in einer Herberge unweit von Bordeaux hatte uns, als er hörte, was unsere nächsten Ziele waren, einen Brief mitgegeben. Er bat uns, ihn dem Bischof von Poitiers oder seinem Sekretär auszuhändigen, beide Angehörige des gleichen Ordens.
    Als wir nachmittags die Stadt erreichten, suchten wir zunächst ein Quartier; dann begab ich mich zum Palast des Bischofs. Dieser, wurde mir gesagt, weile bei einem befreundeten Adligen auf dem Lande, und der Sekretär habe sich zu behaglicher Einkehr in eine Schänke begeben. Ich solle dort nur Ausschau nach einem dicken Mönch halten.
    Ich hielt Ausschau, und nachdem ich ihn gefunden hatte, fand ich auch gleich den Grund für seine Umfänglichkeit. Er hatte, wie er andeutete, zunächst mit der nicht eben schmächtigen Wirtin das Tier mit den zwei Rücken gespielt, wollte nun wieder zu Kräften kommen und sich stärken. Während er auf das Eintreffen der ersehnten Dinge warte - »Stärkung, Verstärkung, Nahrhaftigkeit, Nährsame, Zufuhr vor der Abfuhr, Gaumenletzung, Geschwelge, Fourage, Atzung, kurz: alles, was zu des Seßhaften Ergötzung als Zehrung
ohne Weg sowie auch als Labe dienen mag« -, weihe er seinen ungeschwächten Geist der Hingabe an die letzten Fragen wie etwa der, ob eine im Leeren schaukelnde Chimäre sich von Hintergedanken nähren könne. Er sei jedoch willens, dabei einen Brief an seinen Herrn zu nehmen, erbrechen, lesen und erwägen.
    »Mann«, sagte ich, »Ihr solltet nicht Sekretär, sondern Dichter sein und das aufschreiben, was Euch da so aus dem Maul trieft.«
    »Ah bah«, sagte er. » Scripta manent, verba volant . Und wenn denn schon ich nicht wie ein Zicklein durchs Geäst hüpfe, sollen dies wenigstens meine Wörter tun, nicht niedergeschrieben in Fesseln auf ödem Papier verschmachten. Laßt mich den Brief lesen.«
    Während er dies tat, brachte die Wirtin ihm die ersten Schüsselchen, tätschelte ihm den geschorenen Schädel und fragte, ob ich auch etwas essen wolle.
    »Ein wenig, gern«, sagte ich.
    »Dann bringe ich Euch das gleiche wie ihm - nur weniger.« Sie lächelte und verschwand.
    Wenn ich mich recht entsinne, aß und trank er von allem etwa fünf Teile, ich eines. Wir leerten drei Flaschen eines wundersam beredt machenden hellen Weines aus der Tou raine und verzehrten Krammetsvogelpastetchen, Lammschultern, einen Kapaun, zwei Fasane, zwischendurch einige gedünstete Fische und gemischte Kleinigkeiten, von denen ich nur noch weiß, daß sie mich der Ohnmacht näher brachten.
    »Dieses Brieflein«, sagte der Sekretär, als er gelesen und noch nicht ernsthaft zu essen begonnen hatte, »wird meinen Gebieter erheitern. Gratias tibi ago ob des Beförderns. Nun sagt, wer seid Ihr, hurtiger Bote, der Ihr Euch schleunenden Fußes gesputet habt?«

    »Ein hungriger Wanderer.«
    »Dann wollen wir zum kargen Mahle schreiten. Überbringt Ihr häufiger Nachrichten?«
    »Häufiger suche ich solche.«
    Teils kauend, teils schluckend vertieften wir uns in ein sprunghaftes Gespräch. Ich erfuhr, daß er dreiunddreißig war, Sohn eines Rechtsgelehrten, und zunächst mit sechzehn in ein Franziskanerkloster gegangen war, um dort zu studieren und den Herrn zu preisen. Später sei er mit der aus Italien kommenden neuen Begeisterung für die Antike und ihre Sprachen angesteckt worden. Als wegen der - sola scriptura! - reformatorischen Umtriebe das Studium des Griechischen zur Vorstufe der Ketzerei erklärt wurde, habe er Schwierigkeiten mit der Ordensleitung bekommen und Zuflucht beim Bischof von Poitiers gesucht, einem Benediktinerabt. Er hoffe, bald nach Paris gehen und seine Studien fortsetzen zu können, sei es als Priester, sei es als Arzt.
    »Und Ihr wollt wirklich nicht Dichter werden? Ein Jammer; Ihr redet erfreulich.«
    »Ihr eßt erfreulich, mein guter Bote; ich finde, wir sollten die Höflichkeit ein wenig mindern - was meinst du? Ich heiße François. Welche Art von

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