Die Rache des Samurai
sprach.
»Weshalb hast du dann versucht, mich zu vernichten?« Sano hörte die plötzliche Kälte in seiner Stimme.
Aoi schwieg noch immer, doch ihre Schultern zuckten.
Sano setzte sich auf und streifte seinen Kimono über, der neben dem Bett lag. Nun, da die Leidenschaft ihrer körperlichen Vereinigung verflogen war, kamen ihm das Zimmer kahl und seine Nacktheit schamlos vor. Dann kroch Sano über den Boden zu Aoi; seine Wunden schmerzten zu sehr, als daß er aufstehen und gehen konnte.
In Aois ausdrucksloser Miene lag eine Starrheit, welche die ungeheure Anstrengung verriet, die sie aufbringen mußte, um die Fassung zu wahren. An ihrer Kehle traten die Sehnen deutlich hervor, und ihre Lider bebten. Sano erkannte, daß sie weinte – lautlos, tränenlos. Selbst nach der bitteren Enttäuschung, von ihr betrogen worden zu sein, bewegte es Sanos Inneres, als er sah, wie tapfer Aoi ihre Trauer zu verleugnen versuchte – eine Tapferkeit, die jeden Samurai mit Stolz erfüllt hätte. Er streichelte ihre Wange; seine Hand bewegte sich unbeholfen bei dieser ungewohnten Geste der Zärtlichkeit.
»Was ist los?«
Aois Zittern endete mit einem heftigen Beben des ganzen Körpers. Dann saß sie regungslos da und starrte in die Ferne.
»Manchmal, wenn ich in meiner Hütte vor dem Momijiyama schlafe, träume ich davon, einfach fortzulaufen«, sagte sie mit leiser, schwankender Stimme. »In diesen Träumen ist mein Kopf geschoren, und ich trage die Gewänder einer Nonne. Ich verlasse den Palast bei Anbruch der Morgendämmerung und mache mich auf den Weg. Bei Tag gehe ich über die Fernstraßen und bettle die Reisenden um Almosen an. In der Nacht gehe ich über Felder und schlafe in Höhlen oder im Wald. Ich esse Pflanzen, Nüsse und kleine Wildtiere. Ich bin so lange unterwegs, wie es braucht, um in meine Heimat zu kommen, zu meiner Familie.«
Sano stellte sich vor, wie Aoi gleich einem schlanken, namenlosen Schatten über Felder und Wiesen wanderte. Wider Willen regte sich Mitleid in ihm. Er selbst war einst ein Flüchtiger gewesen und hatte das gleiche verzehrende Heimweh empfunden, das er nun bei Aoi verspürte.
»Doch wenn ich aufwache, endet der Traum«, sagte Aoi dumpf. »Ich weiß, daß ich niemals fort kann. Die Tokugawa würden Truppen ausschicken, um mich und meine Sippe zu töten und unser Dorf niederzubrennen. So, wie die Samurai es immer schon getan haben, um die Ninja zur … Mitarbeit zu bewegen.«
Sie richtete den Blick auf Sano, und in ihren Augen glomm wieder ein Funke der Wut auf. »Wir haben eure Kriege geführt. Wir haben eure Feinde getötet, sind in ihre Lager eingeschlichen, haben unser Leben aufs Spiel gesetzt, um euch den Sieg zu bringen. Und nun, da kein Krieg geführt wird, wollt ihr uns immer noch nicht in Frieden lassen. Ihr habt meinen Vater gezwungen, mich hierherzuschicken, als junges Mädchen von vierzehn Jahren, um eure Rivalen auszuspionieren und zu vernichten. Ihr zwingt mich, ein Leben in Leibeigenschaft zu führen. Würde ich diese Pflicht aufgeben, die ich verachte wie sonst nichts auf der Welt, würdet ihr Tod und Verderben über mein Volk bringen: Und nur weil ich mich bemühe, meine Familie zu schützen – genauso, wie auch du es tun würdest –, nennst du mich schmutzig. Ehrlos.«
Sano senkte den Kopf, als ihm die Tragweite ihrer Worte deutlich wurde. Er hatte nie darüber nachgedacht, was Aois gesellschaftliche Schicht und die seine gemein hatten. Die Tokugawa hatten sich sowohl die Ninja als auch die Samurai unterworfen. Doch die Ninja dienten dem Herrscher weniger bereitwillig; sie mußten für geringeren Lohn größere persönliche Opfer bringen. Sie ernteten keinen Ruhm für ihre Taten. Doch es lag Ehre in Aois Mut, in ihrer Hingabe für die Familie und darin, wie unerschütterlich sie ihr Leid trug. Und es war Güte in ihrem Innern: Sie hatte ihm das Leben gerettet.
»Es tut mir leid«, sagte Sano; die Entschuldigung war Ausdruck des Verstehens und Bitte um Vergebung zugleich.
Als er Aois Hand nahm, wurden ihre Finger starr; dann legten sie sich für einen Augenblick um die seinen, bevor sie die Hand fortzog. Sie senkte den Blick, doch Sanos Geste, von Aoi akzeptiert, war die Bestätigung einer Liebe, die keine Klassenschranken kannte, keine Geheimnisse, und keine Konventionen. Das , dachte Sano mit leidenschaftlicher, freudiger Gewißheit, erwartest du von einer Frau.
In Aois heiserem Lachen lag ein Beiklang bitterer Ironie. »Was Kammerherr Yanagisawa wohl sagen
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