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Die Rache des Samurai

Die Rache des Samurai

Titel: Die Rache des Samurai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Frau und erklärte ihm den Weg zum Sommerhaus.
    Sanos Erleichterung war nicht so groß wie erwartet, als er die Neuigkeiten in sich aufnahm; denn bis jetzt hatte noch jede Fährte zu Yanagisawa geführt. »Danke, Aoi«, sagte er und versuchte, Zufriedenheit in seine Stimme zu legen. »Morgen früh werde ich mit Frau Shimizu sprechen.« Er hoffte nur, daß die Beobachtungen dieser Frau – was immer sie gesehen hatte – nicht den endgültigen, unwiderlegbaren Beweis erbrachten, der seinen Tod bedeuten würde.
    Zögernd fragte Aoi: »Was hast du heute Neues herausgefunden?«
    Sano erzählte es ihr, wobei er sich die ganze Zeit fragte, weshalb sich Aois Verhalten ihm gegenüber verändert hatte. »O-tamas Geschichte erhärtet Yanagisawas Motiv«, endete er. »Und die Aussage von Wilder Eber bringt ihn mit dem Meuchler in Verbindung, der mich zu töten versucht hat. Und was Chūgo und Matsui betrifft, kann ich keine Beweise gegen sie finden.«
    »Also wirst du Herrn Yanagisawa bald verhaften?«
    Sano schmerzte Aois plötzlich wiedererwachter Eifer. Sie hatte keine Ahnung, welche Folgen Yanagisawas Hinrichtung hätte – und er konnte es ihr nicht sagen.
    »Nein. Erst wenn ich den eindeutigen Beweis für seine Schuld habe«, erwiderte er.
    Wenngleich Aoi sich nicht bewegte, spürte Sano, wie sie vor ihm zurückschreckte. Enttäuschung spiegelte sich in ihren Augen. Er konnte verstehen, daß sie den Tod Yanagisawas ersehnte und ihre Freiheit wollte, doch er konnte seinen Schmerz darüber nicht verleugnen, daß sie beides nur für den Preis seines eigenen Lebens bekommen konnte. Er streckte die Hand aus, als wollte er Aoi berühren, über die unsichtbare Grenze ihrer unterschiedlichen Herkunft hinweg – er, der Samurai und sie, die Ninja. Doch Aoi wich zurück. In peinlichem Schweigen verharrten beide, während der Dampf um sie wogte wie eine Verkörperung ihres stummen Leidens. Plötzlich erkannte Sano, weshalb Aoi sich so abweisend und kühl verhielt.
    Sie hatte ihre Entscheidung, ihm zu helfen, noch einmal überdacht und bereute sie nun. Sie hatte erkannt, welche Gefahren ihr Liebesverhältnis und ihre Zusammenarbeit für sie heraufbeschwören konnte – zumal mit jedem verstreichenden Tag das Risiko größer wurde, daß Yanagisawa von ihrer geheimen Absprache mit ihm, Sano, erfuhr. Und nun wollte Aoi aus Angst um ihre Familie und sich selbst das Liebesverhältnis beenden, hatte aber Furcht, ihm weh zu tun.
    Schuldgefühle und Trauer durchströmten Sano. Ihm war klar, was er tun mußte, aber er konnte den Gedanken nicht ertragen, Aoi aufzugeben. Vielleicht war es unklug, doch er ließ die Stimme seines Herzens die Botschaft sprechen, die sein Verstand ihm übermittelte.
    »Mein Vater hat sich an die alte Tradition der Samurai gehalten, die Söhne mit dem Phänomen des Todes vertraut zu machen und ihnen den Schrecken davor zu nehmen, damit sie ohne Furcht vor dem Tod aufwachsen und deshalb bereit sind, in der Schlacht für ihren Herrn zu sterben. Als ich fünf Jahre alt war, nahm mein Vater mich zu Begräbnisfeiern mit. Ich mußte mir anschauen, wie die Toten verbrannt wurden. Als ich sechs war, wies er die Priester des Zōjō-Tempels an, mich die Nächte allein auf dem Friedhof verbringen zu lassen. Und als ich sieben war, nahm er mich zum Hinrichtungsplatz mit, damit ich mir die verwesenden Körper und die abgetrennten Köpfe anschaute. Auf diese Weise hat er mich bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahr, dem Eintritt des Mannesalters, mit dem Tod vertraut gemacht.
    ›Ein Samurai muß stets daran denken, daß er sterben muß‹, sagte er zu mir. ›Und niemals darfst du Furcht vor dem Tod haben oder zeigen.‹«
    Sano lachte bitter. » Einen Teil dieser Lektionen habe ich richtig verstanden: Ich habe nie Furcht gezeigt. Mein Vater war stolz auf mich, denn er hielt es für ein Zeichen von Mut. Aber ich habe nie jemandem erzählt, daß ich von den Leichenverbrennungen Alpträume bekam, lebendig verbrannt zu werden, oder daß die Nächte auf dem Friedhof die längsten meines Lebens waren, weil ich die Geister in den Bäumen klagen und geifern hörte und glaubte, sie würden mich in Stücke reißen. Ich habe nie jemandem erzählt, daß ich mich nach einem Besuch auf dem Hinrichtungsplatz stundenlang wusch und abrieb, um die spirituelle Beschmutzung zu entfernen; denn ich glaubte, sie würde mich töten. Und nie habe ich einem Menschen anvertraut, wie groß meine Angst vor dem Tod immer noch ist …«
    Sano hielt inne. Er

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