Die Rache des Samurai
Gichin und Matsui Minoru gesprochen.« Aoi wußte, daß Yanagisawa weitere Spitzel hatte, die ihm diese Nachricht überbrachten, falls sie es nicht tat, und Aoi wollte am allerwenigsten, daß Yanagisawa an ihrer Tüchtigkeit oder Ergebenheit zweifelte.
»Hat er Beweise gegen einen der Verdächtigen gefunden?«
Aoi hörte das leichte Zittern der Furcht in Yanagisawas glatter Stimme. Waren Sanos Verdächtigungen gerechtfertigt? Jetzt hätte Aoi nur zu gern einen Blick in Yanagisawas Augen geworfen, um die Wahrheit darin zu lesen.
Statt dessen fegte sie Schmutz, Blätter und tote Blüten zu einem ordentlichen Haufen zusammen. »Nein, ehrenwerter Kammerherr«, erwiderte sie ruhig.
Ein Herzschlag verging. Dann: »Habt Ihr Sano gestern nacht getroffen?«
Plötzliche Panik ließ jeden Nerv in Aois Innerem vibrieren. Sanos Diener wußten, daß sie ihn gestern abend nach Hause gebracht und bis zum Tagesanbruch bei ihm geblieben war. Was sie sonst noch wußten – oder erzählen würden, wenn man sie fragte –, konnte Aoi nicht sagen. Überdies bestand die Möglichkeit, daß Sanos Angreifer sie erkannt hatten. Sie mußte so nahe wie möglich bei der Wahrheit bleiben.
»Ich habe ihn getroffen, ehrenwerter Kammerherr«, sagte sie.
»Wie sah er aus?«
Er wußte von dem Angriff auf Sano. Aoi konnte es daran spüren, daß Yanagisawas Puls plötzlich schneller ging – sie hörte es als ein Pochen in den Ohren.
»Jemand hat ihn schrecklich verprügelt«, sagte sie vorsichtig. »Ich habe seine Wunden behandelt. Ich habe mir angehört, mit welchen Schwierigkeiten er zu kämpfen hat. Als er dann schlief, bin ich gegangen.«
»Gut. Um so mehr wird er Euch vertrauen.«
Die Befriedigung in der Stimme des Kammerherrn ließ Aoi einen Schauder über den Rücken laufen. Er war ein Verdächtiger; er wollte, daß Sanos Nachforschungen eingestellt wurden. Hatte Yanagisawa die Schläger auf Sano gehetzt? War dies der Beweis für seine Schuld?
»Und wie geht es unserem Schwerverletzten heute morgen?« Als sie Yanagisawas gedämpftes Lachen hörte, mußte Aoi an ein weiches Kissen denken, das mit Nadeln aus Stahl gestopft war. »Liegt er im Bett, wo er für den Rest seines jämmerlichen Lebens dahinvegetieren wird?«
Am liebsten hätte Aoi ihm geantwortet, daß Sano an Körper und Geist zerbrochen sei und keine Nachforschungen mehr anstellen könne – irgend etwas, das Yanagisawas Einmischungen beenden und Sano und ihr selbst Zeit verschaffen konnte, diesen Mann zu vernichten. Doch sie durfte nicht riskieren, daß Yanagisawa die Wahrheit woanders erfuhr und ihre Lügen aufdeckte.
»Nein, ehrenwerter Kammerherr«, sagte sie und haßte ihre Rolle als Spitzel mehr als je zuvor. »Sano ist ein starker Mann. Und er hatte Glück, daß ihm keine bleibenden Verletzungen zugefügt wurden. Heute morgen ging es ihm gut genug, daß er den Palast verlassen und einen weiteren Verdächtigen aufsuchen konnte. Eine Frau namens O-tama.«
Yanagisawas Umhänge raschelten, als er auf und ab schritt. Seine Bewegungen erzeugten einen kalten Lufthauch, bei dem Aoi eine Gänsehaut überlief. Ein Netz des Entsetzens fiel über ihr Herz; seidene Fäden spannten sich und schnitten sie. Aoi brachte es kaum mehr fertig, so zu tun, als würde sie Zweige und Blätter zusammenfegen, denn sie wußte, was Yanagisawa nun sagen würde.
»Genau, wie ich befürchtet habe. Es genügt nicht, Sano mit Falschinformationen zu versorgen, um sein gutes Verhältnis zum Shōgun zunichte zu machen. Es reicht nicht aus, ihm mit Verbannung zu drohen und darauf zu hoffen, daß er versagt. Er ist zu pflichtbewußt. Er läßt sich durch Schmerz nicht einschüchtern. Er scheut nicht einmal den Tod, und er hat unglaubliches Glück. Falls er Chūgo, Matsui und O-tama befragt, ist er auf dem Weg zur Wahrheit. Er muß aufgehalten werden, bevor er noch weiter voranschreiten kann.«
Yanagisawa blieb stehen, doch sein Zorn, seine Furcht und sein Haß brauten sich um ihn und Aoi zusammen wie ein heraufziehendes Unwetter.
»Ihr werdet Sano töten – bei der ersten Gelegenheit.«
Aoi hörte das Rauschen seiner Umhänge, als er den Arm bewegte. Der Kirschblütenzweig landete auf dem Schmutzhaufen, den sie zusammengefegt hatte. Am abgebrochenen Ende war das blasse Holz unter der Rinde zu sehen; die leuchtenden Blüten hatten bereits zu welken begonnen. Aois Entsetzen war so groß, daß ihr Blick verschwamm: Holz und Blüten verwandelten sich in zerfetztes Fleisch und vergossenes Blut. Sie
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