Die Rache des Samurai
konnte nicht sprechen, konnte sich nicht rühren, konnte nicht atmen. Über die stummen Schreie des Protests in ihrem Inneren hinweg hörte sie wieder Yanagisawas Stimme.
»Und sorgt dafür, daß es wie ein natürlicher Tod aussieht.«
Dann war er verschwunden.
30
A
ls Sano an diesem Abend zu seiner Villa zurückkehrte, waren seine Glieder so steif und wund, daß er sich kaum mehr bewegen konnte. Der Schmerz lag ihm wie ein hautenger, mit Dornen gespickter Waffenrock auf der Haut. Am Tor der Villa wäre er beinahe vom Pferd gefallen; dann taumelte er über den Hof und ins Haus hinein. Im Flur fiel er mit dem Gesicht voran zu Boden. Benommen dankte er den Göttern, daß ihn auf dem Heimweg niemand angegriffen hatte; er hätte sich unmöglich verteidigen können. So lag er da und ruhte sich in dem sicheren Gefühl aus, von festen Mauern und dem bewachten Tor vor Feinden geschützt zu sein.
Plötzlich hörte er leise Schritte, die sich über den Flur näherten. Er blickte auf und sah Aoi, die sich neben ihn kniete. Ihr schönes Gesicht war ernst vor Sorge. Beinahe vergaß Sano seinen Schmerz, so groß war seine Freude, Aoi zu sehen.
»Ich habe dir ein Heilbad bereitet«, sagte sie. »Komm.«
Mit ihren starken Armen half sie ihm auf und stützte ihn, als sie über den Flur gingen. Am liebsten hätte Sano in ihrer Umarmung geruht und ihre Schönheit in sich aufgenommen, doch er hatte weder für das eine noch das andere Zeit.
»Ich kann nicht bleiben«, sagte er.
»Du mußt. Um deiner Gesundheit willen.«
Sano hatte den Nachmittag mit dem vergeblichen Versuch verbracht, herauszufinden, ob sich einer der Verdächtigen zum Zeitpunkt der Morde im Apothekerviertel aufgehalten hatte, in den Elendsquartieren der Eta, in Yoshiwara und am Zōjō-Tempel. Eigentlich hatte er sich jetzt bei Aoi erkundigen wollen, ob sie herausgefunden hatte, wer die geheimnisvolle Zeugin am Tempel gewesen war, um anschließend mit der Überwachung von Kammerherr Yanagisawa zu beginnen. Doch die Schmerzen – dazu das Verlangen, bei Aoi zu sein – waren stärker als sein Widerstand. Er ließ sich von Aoi ins Badezimmer führen.
Der holzgetäfelte Raum wurde von einer Lampe erhellt, und neben dem großen, runden Badezuber aus Holz brannte ein Kohlebecken. Vom heißen Wasser stieg Dampf auf, der von dem süßen, schweren Duft eines Heilkrauts erfüllt war, das Sano nicht kannte. Das offene Fenster umrahmte die Zweige eines blühenden Kirschbaumes, die in der kühlen Abendbrise zitterten; wie Schneeflocken trieben Blütenblätter davon.
Sano zog sich aus und stellte fest, daß seine Wunden sich dunkel verfärbt hatten; er sah so schrecklich aus, wie er sich fühlte. Das Glücksgefühl, bei Aoi zu sein, wich der Verwunderung: Als sie ihm half, sich Staub und Schweiß abzuwischen, waren ihre Berührungen sanft, aber seltsam kalt und unpersönlich. Sie sagte nichts und wich seinem Blick aus. Die Intimität der letzten Nacht war verschwunden, als hätte es sie nie gegeben.
»Was ist los?« fragte er.
Ohne Sano anzuschauen, zuckte Aoi die Schultern und schüttelte den Kopf. »Steig ins Wasser, bevor es kalt wird.«
Stöhnend vor Schmerz stieg Sano die kurze Leiter hinauf in den Zuber und ließ sich ins Wasser sinken. Die Hitze sickerte in seine angespannten Muskeln, und er stieß einen wohligen Seufzer aus. Doch als Schmerz und Spannung gewichen waren, betrachtete er Aoi mit wachsender Besorgnis.
Sie stand regungslos neben dem Badezuber, mit nachdenklicher Miene. Sano spürte den kalten Hauch der Gefahr, der von ihr ausging, und sein tiefsitzendes Mißtrauen den Ninja gegenüber regte sich wieder.
»Irgend etwas stimmt nicht mit dir«, sagte er. »Was ist es?«
»Nichts«, erwiderte sie – ein wenig zu rasch.
Ein Gefühl der Übelkeit breitete sich in Sanos Magen aus und wurde beinahe stärker als seine Furcht, als er fieberhaft nach einer Erklärung suchte. »Du hast nicht herausgefunden, wer die unbekannte Zeugin am Tempel war, stimmt’s?«
»Doch. Ich weiß, wer sie ist.« Aois Stimme war ausdruckslos; der gewohnte heisere Beiklang war einer stumpfen Rauheit gewichen. »Was du mir von der Zeugin erzählt hast, paßt auf Frau Shimizu, die Gattin eines Reisgroßhändlers aus Edo. Auch die Erkenntnisse, die ich bei der Untersuchung der Kimonos gewonnen habe, sprechen dafür, daß es sich um diese Frau handelt. Zur Zeit hält sie sich im Sommerhaus ihres Mannes auf.« Mit derselben tonlosen Stimme gab Aoi Sano eine Beschreibung der
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