Die Rache des Samurai
sich eilig mit einem Badetuch trocken und zog sich an. »Zuerst brauchst du deine Arznei.«
Wieder einmal spürte Sano bei Aoi die Aura ruheloser Anspannung. Erneut keimte sein Mißtrauen auf, diesmal stärker als zuvor, doch sie hatte recht. Seine Wunden schmerzten noch immer; ohne Behandlung würden seine Glieder wieder zu steif und schwerfällig werden, als daß er sich bewegen konnte – ganz zu schweigen davon, seine nächtliche Arbeit zu beenden.
»Also gut«, sagte er. Er begleitete Aoi ins Schlafzimmer und legte sich auf den Futon. »Aber beeile dich.«
»Ich werde das Zimmer für dich warm machen …« Aois Stimme war gedämpft, als sie ihm den Rücken zukehrte und sich über das Kohlebecken beugte, das im Boden eingelassen war. Dann richtete sie sich auf und eilte zur Tür.
»Aoi. Warte. Geh nicht.« Sano mußte herausfinden, was ihr zu schaffen machte, und die Verbindung wiederherstellen.
Über die Schulter sagte Aoi: »Ruhe dich jetzt aus. Ich bin gleich mit den Kräutern und Heilmitteln zurück …«
Und sie machte die Tür hinter sich zu, ließ Sano mit seinen Sorgen um die Zukunft allein. Würde er seine Pflicht erfüllen und seine Versprechen einlösen? Würde er Yanagisawa auf frischer Tat bei einem Mord ertappen? Mußte er den Kammerherrn töten und das Schwert dann gegen sich selbst richten? Noch heute nacht? Falls nicht – würde das Schicksal es ihm erlauben, Chūgo oder Matsui als Mörder zu verhaften, bevor die verbleibenden zwei Tage herum waren? Wie viele Nächte mochten ihm und Aoi noch vergönnt sein?
Sano war zu aufgeregt, um sich zu entspannen, und starrte an die Decke. Doch bald darauf wurden ihm zu seiner Verwunderung die Lider schwer. Er erkannte, daß er seine Müdigkeit unterschätzt hatte, oder die einschläfernde Wirkung des heißen Wassers, oder die Erschöpfung nach dem Geschlechtsverkehr. Er kämpfte gegen den Schlummer an. Doch riesige, unwiderstehliche Wogen der Müdigkeit schwappten über ihn hinweg.
Sano ergab sich dem Schlaf.
Vor der Tür zu Sanos Zimmer stand Aoi, starr vor Kummer. Das schaurige Geheul der Seelenqual hallte durch ihren Geist. Es hatte in jenem Moment eingesetzt, als Kammerherr Yanagisawa ihr den Befehl erteilt hatte, Sano zu töten. Und es war lauter geworden, als sie mit Sano geschlafen und verleugnet hatte, daß etwas nicht in Ordnung war. Nun schloß sie die Augen und ballte die Fäuste, um gegen die Einsamkeit und Verzweiflung anzukämpfen, die ihr Herz erfüllte wie Blut, das sich in einer Wunde sammelt.
Sie zwang sich, den Lauten zu lauschen, die aus Sanos Zimmer drangen. Sein ruheloses Hin- und Herwälzen endete, und Aoi wartete auf die Veränderung der Atmung, an der sie erkennen konnte, wann Sano in tiefen Schlaf versunken war.
Bevor Aoi das Zimmer verließ, hatte sie ein geheimes Ninja-Schlafmittel ins Kohlebecken geworfen – ein Stück Papier, das mit dem Saft seltener Kräuter, dem Blut des Maulwurfs, der Schlange und des Wassermolchs getränkt war. Wenn das Papier verbrannte, breiteten sich einschläfernde Dämpfe aus. In Kriegszeiten hatten die Ninja dieses Gift in die Öfen hineingeworfen, die in Wachhäusern standen, worauf die Posten einschliefen und die Ninja in feindliche Schlösser eindringen konnten. Nun benützte Aoi dieses Mittel, um ihren Liebhaber in Schlaf zu versetzen, damit sie den Befehl ihres Herrn befolgen und ihn töten konnte.
Den ganzen Tag waren Aois Gedanken endlos über ein und dasselbe Terrain geschweift – wie ein Wolf, den sie einst in einer Bergspalte vor ihrem Heimatdorf gesehen hatte, in der das Tier wie in einer Falle saß. Nun versuchte Aoi fieberhaft, eine Möglichkeit zu finden, den Befehl Yanagisawas mißachten zu können, ohne ihre Familie zu gefährden.
Sie erwog, die Ermordung aufzuschieben – in der Hoffnung, daß Sano belastende Beweise gegen den Kammerherrn fand. Aber was, wenn Yanagisawa ungeduldig wird, fragte sie sich. Dann wird er jemand anderem befehlen, Sano zu ermorden. Und dann wird meine Familie für mein Versagen bestraft.
Sie überlegte, ob sie Sano von dem geplanten Anschlag erzählen sollte. Gemeinsam konnten sie seine Ermordung vortäuschen und ihn dann irgendwo verstecken, wo er unter falschem Namen ein neues Leben beginnen konnte. Doch diese zweite Möglichkeit verwarf Aoi noch rascher als die erste. Sano würde seinen Posten niemals aufgeben; Aoi kannte ihn zwar erst seit kurzem, aber gut genug, um ihn richtig einschätzen zu können.
Und wenn sie selbst Yanagisawa
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