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Die Rache des Samurai

Die Rache des Samurai

Titel: Die Rache des Samurai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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blühende Kirschbäume zierten die tiefer gelegenen, grasbewachsenen Hänge, die Sano bereits unter sich gelassen hatte. Von der Hauptdurchgangsstraße zweigten schmale Gassen ab, die zu malerischen, rustikalen Sommervillen führten. Unter Holzbrücken murmelten glitzernde Bäche; Vögel zwitscherten in Bäumen und Sträuchern. Doch Sano nahm nichts von der heiteren Schönheit dieser Gegend wahr, in die sich die wohlhabenden Bürger Edos vor der Sommerhitze flüchteten.
    Er konnte die Rauchwolke sehen, die über jenem Teil Nihonbashis hing, in dem das Feuer, das gestern ausgebrochen war, immer noch brannte. Die Flammen hatten sich wegen der andauernden gewalttätigen Unruhen in der Bevölkerung weiter ausgebreitet; hinzu kam das ungewöhnlich warme und windige Wetter. Fern im Osten türmten sich dunkle Gewitterwolken; Donner rollte. Doch das Frühlingswetter war unberechenbar; es konnte sein, daß Regen kam, die Brände in Nihonbashi löschte und die erhitzten Gemüter der Einwohner abkühlte, doch ebensogut konnte es noch tagelang trocken bleiben.
    Doch Sano war mit den Gedanken ganz woanders. Falls Frau Shimizu tatsächlich die geheimnisvolle Zeugin vom Zōjō-Tempel war – würde er von ihr die Hinweise erhalten, die er brauchte, um die Identität des bundori- Mörders aufzudecken?
    Sano konnte seine Alpträume nicht abschütteln, Träume von Blut und Selbstmord. Im Morgengrauen war er aufgewacht und hatte bestürzt erkannt, daß er die nächtliche Beschattung von Kammerherr Yanagisawa versäumt hatte – und daß Aoi verschwunden war. Hatte sie doch noch beschlossen, sich von ihm zu trennen?
    Sano hatte sich dem Verlangen widersetzt, zum Tempel zu eilen und nach Aoi zu suchen. Zuviel hing davon ab, was er heute in Erfahrung brachte. Falls er Beweise in die Hand bekam, die Kammerherr Yanagisawa entlasteten, würde es ihm das Leben retten – aber würde ihm dann auch Aoi erhalten bleiben?
    Wie ganz Edo, war auch das Hügelland im Westen der Stadt dem gesellschaftlichen Rang der Bewohner entsprechend aufgeteilt: Die riesigen Anwesen der Daimyō standen auf den höchsten Hügelkuppen; darunter lagen die Villen der wohlhabenden Kaufleute. Auf halbem Weg die Straße am Hügel hinauf entdeckte Sano die Stelle, die Aoi ihm beschrieben hatte. Hier gabelte die Straße sich zwischen zwei hoch aufragenden Zypressen. Sano lenkte sein Pferd auf eine schmale Nebenstraße, welche zwischen Eichen- und Buchenwäldern hindurch und über eine kurze Brücke führte, die einen Fluß überspannte. Eine scharfe Linkskurve brachte Sano an sein Ziel, die Villa der Shimizu, bestehend aus drei miteinander verbundenen Gebäuden, die sich in einem Wäldchen an den Hügelhang schmiegten.
    Sano stieg aus dem Sattel, band sein Pferd an und ging auf den von Bäumen beschatteten Vordereingang zu. Plötzlich flog die Tür auf. Eine Bauersfrau im grauen Baumwollkimono kam herausgeeilt und blickte Sano drohend an.
    »Hier sind keine Besuche erlaubt!« rief sie. »Verschwindet bitte!«
    Die Frau ließ nichts von der gewohnten Unterwürfigkeit ihres Standes erkennen, und die zwei Männer, die ihr folgten, verliehen ihrer Aufforderung zusätzlichen Nachdruck. Beide waren jüngere Samurai – offensichtlich Brüder, wie die breiten Münder und die abstehenden Ohren verrieten. Sie trugen schäbige Kleidung und blickten Sano mit einem Ausdruck zorniger Verzweiflung an. Sano erkannte, daß die beiden rōnin waren, herrenlose Samurai, die ein kärgliches Dasein fristeten, indem sie für einen reichen Bürger als Wachposten arbeiteten. Ein paar Schritte vor Sano blieben sie stehen, breitbeinig, die Arme vor der Brust verschränkt, und bedachten ihn mit feindseligen Blicken.
    Sano stellte sich der Frau vor, die er für die Hausvorsteherin hielt. »Ich bin in offiziellem Auftrag des Shōgun unterwegs. Bringt mich zu Frau Shimizu.«
    Sano wußte nicht, ob die Gesuchte sich tatsächlich in der Villa aufhielt, doch als die Dienerin einen raschen Blick nach hinten warf, erkannte Sano, daß Frau Shimizu sich im Haus befand. Vielleicht versteckte sie sich hier, um den Konsequenzen zu entgehen, die ihr Aufenthalt im Tempel haben konnte – wie immer diese auch aussehen mochten. Doch die Dienerin wiederholte nur: »Keine Besucher.«
    Daß sie einem hohen Beamten des bakufu den Zutritt verwehrte, bewies zwar eine bewundernswerte Ergebenheit ihrer Herrin gegenüber, ließ in Sano aber den Verdacht aufkeimen, daß Frau Shimizu irgend etwas zu verbergen hatte. Als er

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