Die Rache des Samurai
zu sein‹, sagte er damals zu mir. Er hat meine Schönheit gepriesen, hat mich geliebt … dort.« Frau Shimizu wies auf eine Stelle unter dem Kirschbaum. Ihre dicke Hand war glatt und weich, als hätte sie nie körperliche Arbeit geleistet. »Jetzt aber bin ich alt und häßlich … und es geht mir gesundheitlich nicht gut. Ich leide unter Blutstau. Und mein Mann kommt nicht mehr hierher.« Sano sah die Tränen der Frau; sie liefen die Wangen hinunter und zogen Furchen durch die dicke Schicht aus Schminke. »Er hat zwei junge Konkubinen in unser Haus in Edo geholt. Und er geht oft zu den Kurtisanen in Yoshiwara.
Wir haben aus Liebe geheiratet … so etwas ist selten auf dieser Welt, in der Ehen des Geldes und familiärer Vorteile wegen wie ein Geschäft vereinbart werden, wißt Ihr. Man erwartet gar nicht, wahre Liebe zu finden … und dann schmerzt es um so mehr, wenn man sie findet und dann verliert.«
»Ich weiß«, sagte Sano und wünschte sich, er könnte Frau Shimizus Geschichte verkürzen. Sein eigenes Verhältnis mit Aoi war bedroht, und am allerwenigsten wollte er jetzt davon hören, wie eine Liebe in die Brüche ging. Doch um seiner Nachforschungen willen ließ er Frau Shimizu weiter erzählen.
»Im Sommer sind wir auf unser Vergnügungsboot gestiegen und auf den Fluß hinausgefahren, um uns das Feuerwerk anzuschauen. Es ist ein großes Boot mit einer gemütlichen Kajüte … Wir haben Wein getrunken und waren glücklich, beisammenzusein.« Mit dem Ärmel ihres Kimonos wischte Frau Shimizu sich das Gesicht ab; als sie den Arm herunternahm, war der Stoff mit der Schminke und dem Wangenrot beschmiert. »Aber das ist lange vorbei. Das Boot liegt seit zehn Jahren an der Anlegestelle. Ich hatte beschlossen, Nonne zu werden, weil ich es nicht mehr ertragen konnte, ohne die Liebe meines Liebsten zu leben …«
Sano war erleichtert, daß sie sich dem Thema näherte, das ihn interessierte: den Geschehnissen in jener Nacht, als der Mönch ermordet worden war. »Also habt Ihr Euch zum Zōjō-Tempel begeben und die Mönche gebeten, Euch Zuflucht zu gewähren. Was ist am Tempel geschehen?«
»Ich habe meine besten Kleider mitgenommen, als Gabe für das Kloster. Ich hatte mir eine Sänfte kommen lassen … und erreichte den Tempel bei Sonnenuntergang.« Der Redefluß der Frau geriet ins Stocken. Sie hielt auf eine Bank zu und setzte sich. Gedankenversunken zupfte sie das Moos ab, das auf dem Stein wuchs. » Sōsakan-sama … wenn ich Euch sage, was ich gesehen habe … versprecht Ihr mir, es niemandem zu erzählen?« Sie blickte ihn flehend an. »Bitte … bevor Ihr nein sagt, laßt mich erklären, weshalb ich mich hier verstecke. Weshalb ich keine Besucher haben möchte und die rōnin eingestellt habe, die mich beschützen sollen.«
Nervös ließ sie den Blick über den Garten schweifen, als würde sie jeden Augenblick mit einem Angriff rechnen. »Nachdem ich den Tempel verlassen hatte, habe ich mich nach Hause begeben, nach Nihonbashi. Doch gleich am nächsten Morgen kamen drei mir unbekannte Samurai und wollten mich sprechen. Sie wollten nicht sagen, weshalb sie ein Gespräch wünschten, oder wer sie waren. Deshalb habe ich ihnen von meinen Dienern ausrichten lassen, ich wäre nicht zu Hause. Darauf gingen sie, kamen aber nach ein paar Stunden wieder … Ich weiß nicht, wer die Männer waren, aber ich weiß, weshalb sie gekommen sind. Der bundori- Mörder hat sie geschickt. Er muß mich am Tempel erkannt haben, oder er hat irgendwie herausgefunden, wer ich bin! Sōsakan-sama , er sucht nach mir. Er will mich ermorden, weil er glaubt, ich könne ihn identifizieren. Versteht Ihr jetzt, daß Ihr niemandem von unserem Gespräch erzählen dürft?«
Sano, der neben Frau Shimizu saß, fragte sich, ob die seltsamen Besucher wirklich vom bundori- Mörder geschickt worden waren, um eine Zeugin des Mordes an dem Mönch zu beseitigen. Falls das zutraf – welcher von den Verdächtigen hatte die Männer dann geschickt? Matsui, der sich in demselben gesellschaftlichen Umfeld bewegte wie die Familie Shimizu und der die Frau deshalb vielleicht schon vor dem Mord gekannt hatte? Chūgo oder Yanagisawa, die beide Zugang zum Spitzel-Netzwerk des bakufu hatten, zu dem zweifellos auch Spione im Zōjō-Tempel zählten? Die an die geheimen Akten herankamen, die man über prominente Bürger Edos angelegt hatte? Oder bildete Frau Shimizu sich Bedrohungen ein, wo es gar keine gab? Sano erkannte, daß er die Diener befragen und
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