Die Rache des Samurai
Ausflug nach Yoshiwara nach der neuesten stutzerhaften Mode gekleidet: weißer Seidenkimono, weiße Hose, weißer Übermantel und hohe weiße Holzsandalen. Dazu trug er einen breitkrempigen Hut und Schwerter mit Griffen aus Elfenbein. Neben ihm stand sein weißes Pferd. Doch der ganze Aufwand verfehlte die beabsichtigte Wirkung, Glanz und Eleganz auszustrahlen. Der Samurai sah fast so schrecklich aus wie sein Fund.
»Ah, der sōsakan-sama seiner Exzellenz«, lallte er mit schwerer Zunge und schaute Sano mit trüben Augen an. »Wird auch langsam Zeit. Ich warte schon seit Stunden.«
Der Mann war Ende Zwanzig. Auf seinem runden, von Reiswein geröteten Gesicht spiegelten sich noch immer Angst und Entsetzen. Er saß dicht an die Wand des Schuppens gedrückt, die Beine verlegen an den Leib gezogen. Vorn auf seinem Kimono war ein brauner Fleck; offensichtlich hatte der Mann sich übergeben und dabei seine Kleidung beschmutzt. Trotz seines beklagenswerten Zustands hielt er einen Krug Reiswein in der Hand.
»Wie heißt Ihr?« fragte Sano.
»Nishimori Saburō. Ich stehe in Diensten des Fürsten Kuroda.« Nishimori versuchte, sich gerade hinzusetzen; dann stöhnte er, preßte die Hände auf den Magen und nickte statt einer Verbeugung knapp. »Verzeiht, aber ich fühle mich schrecklich elend. Dieser abgeschlagene Kopf …«
Mit zitternder Hand hob er den Krug an die Lippen, nahm einen tiefen Schluck, schüttelte sich, hustete und wischte sich mit dem Ärmel seines Kimonos den Mund ab. »Möchtet Ihr auch?« fragte er und hielt Sano den Krug hin.
»Nein, danke.« Sano wurde schon vom Geruch nach Schnaps und Erbrochenem übel. »Erzählt mir, wie Ihr den Kopf gefunden habt.«
Nishimori schluckte schwer, und seine verkniffene Miene spiegelte seinen Widerwillen. Dann aber fiel sein Blick auf das Wappen der Tokugawa auf Sanos Kleidung. »Oh, schon gut. Ich habe Yoshiwara im Morgengrauen verlassen. War der erste am Tor. Mußte auf meinen Posten zurück. Außerdem war meine Zeit abgelaufen.« Besucher durften sich längstens zwei Tage in Yoshiwara aufhalten. »Ich war froh, daß ich endlich wegkam, wirklich. Wenn ich daran denke, wieviel Geld ich für diese viel zu teuren Frauen und für das Glücksspiel ausgegeben habe! Na ja – ich bin also durchs Tor, und da sehe ich diesen abgehackten … Jetzt frag’ ich Euch: Kann eine Reise, die der Entspannung und dem Vergnügen dienen sollte, schlimmer enden?« Die feuchten Lippen verzogen sich zu einer Schnute.
»Habt Ihr den Mann gekannt?« fragte Sano geduldig.
»Kann ich nicht gerade behaupten. Man begegnet zwar sehr vielen Leuten, aber die meisten sehen besser aus.«
»Habt Ihr irgend jemanden in der Nähe gesehen, als Ihr den Kopf gefunden habt?«
Nishimori schloß die Augen. Speichel tropfte ihm vom Kinn. »Nein.«
Sano schloß daraus, daß der Mörder am vergangenen Abend, nachdem die Tore Yoshiwaras geschlossen worden waren, die Tat verübt und den bundori auf die Straße gelegt hatte. Aber was hatte das Opfer auf der Straße zu suchen gehabt? Hatte der Mörder ihn irgendwie in den Tod gelockt? Und woher war der Mörder gekommen? Über den Damm, aus Edo? Aus einem der Dörfer in der Nähe? Oder gar aus Yoshiwara selbst? Und wo hatte er den bundori präpariert?
»Da zieht man los, um seinen Spaß zu haben«, beklagte sich Nishimori, »und was passiert? Man ist mit den Nerven am Ende. Krank und pleite. Und obendrein auch noch Zeuge in einem Mordfall.« Mit dem Krug wies er in Richtung Yoshiwara. »Und so was nennen die Leute ein Vergnügungsviertel«, sagte er kläglich. »Einen Ort der Glückseligkeit!«
Sano dachte über diesen Vergleich nach. Ursprünglich hatte man Yoshiwara nach der Beschaffenheit der Gegend ›Wiese des Schilfs‹ genannt; dann aber hatte jemand die Schriftzeichen so umgestellt, daß aus der ›Wiese des Schilfs‹ die ›Glückswiese‹ geworden war; denn die Leute besuchten das Vergnügungsviertel, um dort ein bißchen Glück zu finden. Nun fragte sich Sano, ob das Opfer bloß Pech gehabt hatte, da es zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war – nämlich, als der Mörder auf der Suche nach Beute umherstrich. Oder war der Mann in einen geplanten Hinterhalt geraten?
Sano verabschiedete sich von Nishimori, gesellte sich wieder zu den Sicherheitsleuten und setzte den Marsch nach Yoshiwara fort. Hinter den Teeständen – an einer Stelle, an der die Straße in Richtung zum Tor des Vergnügungsviertels leicht abfiel – stand die berühmte
Weitere Kostenlose Bücher