Die Rache des Samurai
verheißungsvollere Aneinanderreihung von Silben Glück bringen sollte. Diese neuen Namen hatten oft nur wenig Ähnlichkeit mit den ursprünglichen.
»Nach der Schlacht von Sekigahara, als Ieyasu Shōgun wurde und der Klan meines Mannes mit ihm nach Edo zog, wurde der Familienname in Kaibara geändert«, bestätigte die Witwe Sanos Vermutung. »Aber was hat das mit der Ermordung meines Gatten zu tun?«
Die Antwort auf diese Frage kannte Sano auch nicht, doch er hatte die Absicht, sie herauszufinden. Er dankte der Witwe für ihre Hilfe, sprach ihr noch einmal sein Mitgefühl aus und verabschiedete sich.
Als er wieder auf der Straße war, stieg Sano auf sein Pferd. Er war froh, diesen bedrückenden Ort verlassen zu können. Tief atmete er durch, um den Angriff der Trauer zurückzuschlagen. Wieder einmal betete er zum Geist seines Vaters und bat ihn um Rat und Beistand beim Ergründen der neuen Rätsel, auf die er gestoßen war. Und wieder blieb der Geist des Vaters stumm. Sano ruckte an den Zügeln und trabte die Straße hinunter, um Hirata zu suchen.
Er mußte nicht weit reiten. Als er um eine Hausecke bog, sah er, wie Hirata wild gestikulierend und laut rufend auf ihn zugerannt kam. Eine Horde von Männern war ihm dicht auf den Fersen. Es waren so viele, daß man hätte glauben können, die Hälfte aller Samurai im banchō hätten sich auf die Verfolgung Hiratas gemacht.
» Sōsakan-sama !« rief Hirata. »Es ist wieder ein Mord geschehen! Der bundori- Mörder hat schon wieder zugeschlagen!«
10
D
er mit Wangenrot geschminkte, mit einem Pferdeschwanz geschmückte, parfümierte und auf einem Brett befestigte Kopf lag zu Sanos Füßen. Er gehörte einem Mann von etwa vierzig Jahren, mit fleischigen Wangen, dichten, buschigen Augenbrauen, einer dicken, grobporigen Nase und dem kahlgeschorenen Scheitel eines Samurai. Seine stumpfen Augen blickten starr in endlose Fernen, und seine wulstigen Lippen waren leicht geöffnet, so daß die schadhaften Zähne zu sehen waren. Sogar im Tod spiegelte sich auf den Zügen des Mannes noch das schockhafte Entsetzen, das ihn beim Angriff des Mörders durchzuckt haben mußte.
Ein schneller, einstündiger Ritt nach Norden hatte Sano hinaus aus dem banchō , durch die Außenbezirke Edos und über die Felder vor der Stadt bis hierher geführt, an den Großen Deich, einen langen, von Weiden beschatteten Damm, der im Westen des Flusses Sumida verlief, dann parallel zum San’ya-Kanal und schließlich ins Vergnügungsviertel Yoshiwara führte. Die Nachricht über den Mord war bereits von den Besuchern des Viertels verbreitet worden, die nach einer Nacht voller Ausschweifungen von Yoshiwara nach Edo zurückgekehrt waren. Jetzt, als Sano die Trophäe betrachtete, die der bundori- Mörder unverfroren und schamlos mitten auf die Straße gestellt hatte, überkamen ihn dermaßen tiefe Schuldgefühle, daß sie beinahe sein Entsetzen in den Schatten stellten. Trotz der besonderen Sicherheitsmaßnahmen, die Sano angeordnet hatte, waren nun schon drei Morde begangen worden. Obwohl kein vernünftiger Mensch Sano den Vorwurf machen konnte, er habe den Fall nicht schnell genug gelöst – dazu war die Zeit viel zu kurz gewesen – oder daß er hätte wissen müssen, wo der nächste Mord geschah, war Sano wütend auf sich selbst. Er leistete in der Tat klägliche Dienste für den Shōgun! Und letztendlich hatte er den Tod dieses unbekannten Mannes verschuldet.
Jetzt bedauerte er seine naive Annahme, seine Nachforschungen würden keine Gefahr für andere heraufbeschwören. Bedrückt wandte Sano sich an den Mann, der neben ihm stand und ihn begrüßt hatte, als er am Schauplatz des Mordes erschienen war; der Mann war Angehöriger der zivilen Sicherheitstruppe von Yoshiwara. »Wer ist er?« fragte Sano und zeigte auf den abgetrennten Kopf.
»Das weiß ich nicht, sōsakan-sama .« Der Sicherheitsbeamte, mit einem kurzen Baumwollkimono und einer Hose bekleidet, war ein untersetzter, stämmiger Bursche, der eine hölzerne Keule an der Hüfte trug. Im Unterschied zur Polizei von Edo war er offenbar gern dazu bereit, mit Sano zusammenzuarbeiten. Die Hauptaufgabe der Sicherheitstruppe von Yoshiwara bestand darin, Schlägereien zu unterbinden und betrunkene Randalierer aus dem Vergnügungsviertel hinauszuwerfen. Diese Sicherheitsleute waren nicht dafür ausgebildet, sich mit Morden zu beschäftigen – abgesehen von den unkomplizierten Fällen, wenn bei Straßenschlägereien oder Streitigkeiten um Frauen
Weitere Kostenlose Bücher