Die Rache des Samurai
durchzogen. Doch sein Gesicht mit der flachen Nase und den straffen Wangen war faltenlos, was vermutlich auf den fettigen Teint zurückzuführen war. »Ich bin Uesugi, Eigentümer des Himmlischen Vergnügens.«
Sein bogenförmiger Mund schien zu einem dauernden Lächeln erstarrt zu sein, doch seine glänzenden schwarzen Augen sahen wie die Perlen an einem Abakus aus – hart, kalt, berechnend. »Dieser Mord ist eine sehr ernste Angelegenheit. Doch ich kann Euch versichern, daß das Himmlische Vergnügen nicht das geringste damit zu tun hat.«
Uesugis hastige Beteuerung war für Sano ein Anzeichen dafür, daß das Gegenteil der Fall war. Verbarg dieser Mann irgend etwas? Seine Nervosität war vielleicht auf die Sorge um das Geschäft und das Bewußtsein seines gesellschaftlichen Ranges zurückzuführen. Bei den gemeinen Bürgern, die Yoshiwara besuchten, waren die Besitzer berühmter Freudenhäuser hoch angesehen; die Samurai hingegen betrachteten Männer wie Uesugi naserümpfend als geldgierige ›Fleischhändler‹. Uesugi würde einen Vorfall, der dem Ruf seines Etablissements schadete, als Katastrophe betrachten – und genau das wäre auch der Fall, wenn man die bundori -Morde mit seinem Freudenhaus in Verbindung brachte.
»Ich habe keinen Grund zu der Annahme, daß das Himmlische Vergnügen sich irgend etwas hat zuschulden kommen lassen«, sagte Sano nachsichtig, denn er wollte Uesugi in Sicherheit wiegen, um ihn dann mit gezielten Fragen überfallen zu können. »Ich möchte nur wissen, wer der Ermordete war und mit wem er die Zeit bis zu seinem Tod verbracht hat. Könnt Ihr mir das sagen?«
Als Wink mit dem Zaunpfahl richtete Sano den Blick auf die Vorhänge vor dem Eingang; dann schaute er wieder den Besitzer an.
Uesugis Lächeln blieb, doch seine Lider zuckten nervös, während er rasch seine Möglichkeiten überdachte. Der salbungsvolle Beiklang war aus seiner Stimme verschwunden, als er schließlich kühl fragte: »Ist das wirklich nötig?«
Sano ließ sich gar nicht erst auf Diskussionen ein. Uesugi versuchte Zeit zu schinden; er wußte, daß er kein Recht hatte, einem bakufu -Beamten die Antwort auf eine Frage zu verweigern. »Es würde dem Ruf Eures Hauses weniger schaden, wenn wir unser Gespräch drinnen weiterführen«, sagte Sano und wies auf die wachsende Menge der Gaffer, die sich auf der Straße versammelte.
Mit einem knappen Nicken gestand Uesugi seine Niederlage ein. Er trat zur Seite und hob den Vorhang, damit Sano hindurch konnte. Auf der rechten Seite der Eingangshalle befand sich der Schalter des Wachmannes; jetzt war er unbesetzt. Uesugi öffnete eine Tür in der Holzgitter-Trennwand zur Linken und bat Sano in den großen Salon, in dem zwei Hausmädchen damit beschäftigt waren, die Fußmatten zu fegen. Der Salon – Schauplatz vieler wilder Feste, die nachts von den Kurtisanen mit ihren Kunden gefeiert wurden – sah bei Tag trist und wenig einladend aus.
Uesugis Lächeln wurde angespannt. Ob es nur daran lag, daß es ihm mißfiel, daß ein möglicher Kunde das Haus in diesem unvorteilhaften Licht zu sehen bekam, konnte Sano nicht sagen. Der Eigentümer führte ihn in eine Schreibstube, die sich hinter dem Wandgemälde des Salons befand.
»Nehmt bitte Platz«, sagte Uesugi steif.
Er kniete sich hinter das niedrige Schreibpult, rief einen Diener und trug ihm auf, Tee zu bringen, der fast augenblicklich serviert wurde. Während die Männer tranken, betrachtete Sano das Zimmer und seinen Eigentümer. Die Schreibstube ähnelte der eines wohlhabenden Ladenbesitzers. Streifen von Sonnenlicht fielen durch eine Wand mit papierenen Fenstern; auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers standen Holzschränke sowie feuersichere Kisten aus Eisen, in denen Geld und Unterlagen aufbewahrt wurden. Uesugi schien sich noch unbehaglicher zu fühlen als draußen an der Straße; unnatürlich regungslos saß er da und wich Sanos Blicken aus. Schämte er sich, daß er ein so anrüchiges Geschäft betrieb? Oder hatte er Angst davor, er könnte sich selbst belasten?
»Wer war der Ermordete?« fragte Sano.
Uesugi schaute auf ein Buch, das auf dem Schreibpult lag; wahrscheinlich hatte er vor Sanos Eintreffen darin nachgelesen. »Er hieß Tōzawa Jigori. Er ist erst vor kurzem aus der Provinz Omi hierhergekommen. Als mein Wächter ihn an der Tür befragte, gab er zu, ein rōnin zu sein. Der Mann hat die Dienste einer Kurtisane in Anspruch genommen, die unter dem Künstlernamen ›Sperling‹ bei mir
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