Die Rache des Samurai
arbeitet.«
Uesugi hatte diese Informationen sehr bereitwillig preisgegeben, doch sein rundes Gesicht zuckte nervös und glänzte vor Schweiß. Sano – der sich plötzlich daran erinnerte, wie er die Leiche in Augenschein genommen hatte – glaubte den Grund für Uesugis Unbehagen zu kennen. Zorn stieg in ihm auf.
»Wann ist Tōzawa bei Euch eingetroffen?« fragte er mit ruhiger Stimme.
Uesugi zögerte. »Vorgestern.«
»Dann hätte er bis zum heutigen Morgen in Yoshiwara bleiben dürfen. Warum ist er gestern abend schon gegangen?«
Das Lächeln der Eigentümers schwand nun völlig, was Sanos Verdacht bestätigte. »Ich habe mich lediglich an die übliche Vorgehensweise gehalten«, sagte Uesugi eingeschnappt.
»Ihr habt seine Habseligkeiten durchsucht und dabei festgestellt, daß er nicht genug Geld hatte, um seine Rechnung zu begleichen. Deshalb habt Ihr ihn hinausgeworfen. Natürlich erst, nachdem Ihr seine Schwerter an Euch genommen hattet.« Sanos tiefsitzende Abscheu der eigennützigen Schicht der Kaufleute und Händler gegenüber nährte seinen Zorn. »Ihr wußtet, daß ein Mörder sein Unwesen treibt, und habt doch einen unbewaffneten Mann in den Tod geschickt!«
Mit einer trotzigen Geste verschränkte Uesugi die Arme vor der Brust. »Es wäre mein geschäftlicher Ruin, würde ich Kunden davonkommen lassen, ohne daß sie die Rechnung bezahlt haben. Und wie hätte ich denn wissen sollen, daß dieser Mann ermordet wurde?«
Zorn auf sich selbst überkam Sano. Er konnte Uesugi zwar den Vorwurf machen, Geld höher zu schätzen als das Leben eines Menschen, aber die Schuld an dem Mord lag allein bei ihm. Daß er, Sano, den Mörder noch nicht gefaßt hatte, war Tōzawas Untergang gewesen – und mochte noch für andere Menschen das Todesurteil bedeuten. Überdies war Sanos Unwillen darauf zurückzuführen, daß Uesugis Erklärung das Szenario zunichte machte, mit dessen Entwurf Sano gerade erst begonnen hatte.
Es war kein Raub verübt worden; also würden die fehlenden Schwerter des Mordopfers niemals die Schuld eines Verdächtigen beweisen können. Der mittellose Tōzawa konnte einem Mörder zum Opfer gefallen sein, dem es gleichgültig war, wen er tötete, ja, der seine Opfer nicht einmal kannte. Überdies war die Wahrscheinlichkeit sehr gering, daß eine Verbindung zwischen Kaibara und Tōzawa bestand. Tōzawa war ein rōnin gewesen, ein herrenloser Samurai, der im Rang weit unter Kaibara gestanden hatte. Sano bezweifelte, daß aus den Unterlagen über die Familie Kaibara irgendeine verwandtschaftliche oder sonstige Beziehung zwischen den beiden Männern hervorging, die eine so unterschiedliche Herkunft aufwiesen. Allenfalls Tōzawas Status als rōnin mochte eine Verbindung zu Endō Munetsugu ergeben. Doch Sano hatte in Edo viel zuviel Arbeit, als daß er die lange Reise in die Provinz Omi unternehmen konnte, um dort Nachforschungen über Tōzawa anzustellen.
Plötzlich aber sah er eine Möglichkeit, dem Gespräch doch noch etwas Wertvolles abzugewinnen, dabei gleichzeitig Uesugi zu bestrafen und die Gäste Yoshiwaras zu schützen.
»Gebt mir Tōzawas Schwerter«, sagte er.
»Aber, sōsakan-sama … «
»Sofort.« Er würde die Waffen zu Aoi bringen; vielleicht war es ihr möglich, den Schwertern irgendwelche Informationen abzugewinnen. Überdies sehnte Sano sich danach, Aoi wiederzusehen.
Heißer Zorn loderte in Uesugis Augen; hinter den zusammengepreßten Lippen huschte seine Zunge hin und her. Dann erhob er sich und öffnete einen der Schränke – mit einem wütenden Ruck, der seinen Widerwillen erkennen ließ, sich von seiner kostbaren Beute zu trennen. Aus mindestens zwanzig Schwertern, die Uesugi verschiedenen Gästen als Bezahlung abgenommen hatte, suchte er ein Paar heraus und hielt sie seinem Besucher wortlos hin.
»Danke«, sagte Sano. »Außerdem werdet Ihr folgenden Befehl an Euren Verwaltungsrat weitergeben.« Dieser Vereinigung gehörten die Besitzer sämtlicher Vergnügungsbetriebe in Yoshiwara an. »Bis der bundori -Mörder gefaßt ist, werden keine Schwerter mehr beschlagnahmt, um Schulden zu begleichen. Kein Gast wird mehr gezwungen, das Viertel nach Einbruch der Dunkelheit zu verlassen. Falls Ihr und Eure Kollegen Euch nicht daran haltet, werdet Ihr für jeden einzelnen Verstoß teuer bezahlen. Ist das klar?«
»Ja, sōsakan-sama .« Uesugis Stimme klang höflich, doch sein zorniger Blick zur Tür ließ deutlich erkennen, daß er Sano am liebsten hinausgeworfen hätte.
»Gut.
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