Die Rache des Samurai
geschehen, daß Ihr im Handumdrehen wieder zu einem rōnin werdet – oder Schlimmeres.«
Als Sano keine Antwort gab, fuhr Noguchi fort: »Manchmal ist die Suche nach der Wahrheit gefährlich – und noch gefährlicher ist es, die Wahrheit zu kennen . Unglücklicherweise gibt es Männer, welche diese Lektion immer wieder lernen müssen. Aber ich fürchte, diesmal werdet Ihr genug durchmachen, daß Ihr diese Lehre nie vergeßt. Gute Nacht, Sano- san .«
13
V
or Sanos Villa verbeugten sich die Wachposten und öffneten ihm das Tor. Ein gähnender Stallbursche führte sein Pferd davon. Das Haus war dunkel und still; nur in der Eingangshalle brannte eine einsame Laterne. Als Sano zu seiner Schlafkammer ging, wobei er Tōzawas Schwerter bei sich trug, um sie an einem sicheren Ort aufzubewahren, hallte das Geräusch der knarrenden Fußbodendielen über den kalten, menschenleeren Flur. Wo waren die Diener? Nicht, daß Sano sie gebraucht hätte; er war nicht hungrig, und ein Bad und sein Bett konnte er sich allein bereiten. Doch dieses einsame Nachhausekommen bedrückte ihn immer wieder aufs neue. Und an diesem Abend ging seine Melancholie noch tiefer als sonst – der Enttäuschung wegen, sich nicht mit Aoi getroffen zu haben. Sano versuchte, das Gefühl zu verdrängen, indem er seine Beziehung zu dieser Frau als rein beruflich einstufte. Er wollte sich nicht eingestehen, daß er sich den ganzen Tag auf Aois Gesellschaft gefreut hatte.
Als er zur Hauptempfangshalle kam, blieb er abrupt stehen. Die papierenen Wände wurden von trübem Licht erhellt. Neugierig öffnete Sano die Schiebetür.
In Inneren des Zimmers kniete Aoi vor ihrem Altar, auf dem Kerzen brannten und Weihrauch schwelte, der die Luft mit seinem schweren, moschusartigen Duft erfüllte. Aus den Kohlebecken, die in den Boden eingelassen waren, stieg wohlige Wärme auf. Als Aoi den Kopf drehte und Sanos Blick voller Ernst und Würde erwiderte, wurde er aufs neue von der eigenartigen Schönheit dieser Frau ergriffen. Sanos Schwermut schwand; plötzlich fühlte er sich voller Leben, voller Lust. Ein prickelnder Schauer der Erregung lief ihm über die Haut. Sein Haus war in einen Tempel verwandelt worden, in dem Aoi als lebende Göttin thronte, bereit, seine Gebete oder Opfergaben zu empfangen. Sano spürte, wie der kühle, vernunftbestimmte Teil seines Verstandes in Schlummer versank und den Gefühlen und Instinkten nachgab. Er fragte sich nicht, wie Aoi den Weg zu ihm gefunden hatte, oder wie sie ins Haus gekommen war. Sano nahm lediglich ihre unausgesprochene Einladung an.
Er ging durch das Zimmer, kniete von dem Altar nieder und legte Tōzawas Schwerter darauf. Für Sano schrumpfte die Welt zu einem dunstigen, von trübem Licht erleuchteten Ort, der nur aus diesem Zimmer, ihm selbst und Aoi bestand. Atemlos wartete er auf ihre Reaktion.
Sie ergriff zuerst das lange Tötungsschwert und fuhr mit sanften, prüfenden Fingern über den abgenützten Griff und die Scheide. Unwillkürlich stellte Sano sich vor, wie Aois Hände ihn auf die gleiche Weise liebkosten. Als sie die Klinge langsam aus der Scheide zog, spürte Sano, wie sein Glied sich im Lendenschurz aufrichtete. Eine Woge des Begehrens ließ sein Blut schneller durch die Adern strömen, und ihm wurde heiß, als Aoi das Schwert an den Mund führte und mit der Zunge über den schimmernden Stahl leckte. Dann wiederholte sie jede Bewegung, jede Geste mit dem zweiten, kurzen Schwert. Sano beobachtete sie gebannt. Die Augen halb geschlossen, den Kopf leicht nach hinten geneigt, schien Aoi die gleiche Erregung zu verspüren wie er selbst.
Dann schob sie beide Schwerter in die Scheiden zurück und legte sich die Waffen so auf die Handflächen, daß sie sich im Gleichgewicht befanden. Dabei gab sie unverständliche, stöhnende Laute von sich, die Sanos lustvolle Erregung steigerten. Dann lachte sie auf – herzhaft, tief, männlich, und erschreckend plötzlich.
»Bei den Göttern!« Sie blickte von einer Seite zur anderen. »Yoshiwara ist genau so, wie die Leute erzählen. Schau dir nur diese Schönheiten in den Fenstern an!«
Aoi hatte sich in das perfekte Abbild eines Samurai verwandelt: ihre forsche Stimme; das leichte Wiegen der Schultern, als sie das Gehen eines Mannes nachahmte; das anzügliche Grinsen und die dreisten Blicke, die sie auf imaginäre Kurtisanen richtete. Tōzawas Geist war in Aois Körper geschlüpft. Sano konnte beinahe sehen, wie der ermordete rōnin auf ihn zukam. Wie einer
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