Die Rache des Samurai
erfahrenen Schauspielerin gelang es Aoi sogar, durch Stimme und Bewegung die geschäftige und lärmende Heiterkeit des Vergnügungsviertels wachzurufen.
Wieder lachte sie Tōzawas Lachen, und ihr Körper schüttelte sich dabei auf eine Art und Weise, wie es bei dem stämmigen, untersetzten rōnin der Fall gewesen sein mußte. »Oh, wirklich. Das ist der rechte Ort für einen Mann, eine lange Reise zu beenden!«
Lange Reise: Tōzawas einsamer Fußmarsch aus seiner heimatlichen Provinz nach Edo. Aois Wachrufung dieses ermordeten Mannes bestärkte Sano einmal mehr in seiner Überzeugung, daß sie übersinnliche Kräfte besaß.
»Und die Frau, die ich in Yoshiwara hatte, war genau die richtige, um für mich die letzte auf Erden zu sein.« Aois Gesicht verlor die maskuline Ausstrahlung und nahm einen neuen und beängstigend vertrauten Ausdruck an. Sie lächelte auf mütterliche und dennoch kokette Weise. Ihr Körper schien massiger, fleischiger zu werden. Mit plötzlichem Erschrecken erkannte Sano Sperling wieder – die Prostituierte, mit der er in Yoshiwara gesprochen hatte.
»Ihr habt Kummer, nicht wahr? Wollt Ihr mir nicht davon erzählen?«
Nach den bisher erlebten Beweisen, was Aois übernatürliche Kräfte betraf, hätte Sano eigentlich nicht erstaunt sein müssen, nun genau jene Worte zu vernehmen, die Sperling zu ihm gesagt hatte. Doch der vernunftbeherrschte Teil seines Verstandes rebellierte gegen diese neuerliche Attacke des Übersinnlichen. Der Weihrauch machte Sano das Atmen schwer. Genug! wollte er rufen. Hör auf!
Aoi legte die Schwerter auf den Altar. Dann umfaßte sie ihre Brüste mit beiden Händen und knetete zärtlich den vollen Busen; ihre Finger liebkosten dabei die Brustspitzen.
»Kommt«, murmelte sie und lächelte Sano verlockend an. »Labt Euch an meinen Brüsten, Herr. Ich will Euch Lust schenken, und Trost, und Vergessen.« Ihr Kimono raschelte, als sie die Knie spreizte. »Tretet ein in mein himmlisches Gemach.« Ihre Stimme sank zu einem besänftigenden, zugleich aber verführerischen Flüstern herab. »Vergeßt für eine Nacht Eure Sorgen. Kommt jetzt zu mir.«
Eine neuerliche, beinahe unbezähmbare Woge des Verlangens durchströmte Sano. Am liebsten hätte er das Ritual unterbrochen und den Altar beiseite geschleudert, um Aois Aufforderung nachzukommen. Doch er kämpfte die fleischliche Lust nieder und wandte sich an den Geist des Toten.
»Tōzawa- san . Was ist geschehen, nachdem Ihr Yoshiwara verlassen habt?«
Sperlings Züge wichen aus Aois Gesicht. Sie nahm die Hand von den Brüsten und ergriff wieder die Schwerter. Erneut erschien das Antlitz Tōzawas – diesmal vor Zorn und Empörung verzerrt.
»Ich hatte mich auf den Weg nach Edo gemacht«, sagte Tōzawas Stimme. »Ich war müde. Betrunken. Da stürzte der Kerl sich auf mich, als ich mir den Lendenschurz losband, weil ich meinen Darm entleeren mußte. Ich wollte meine Schwerter ergreifen, doch der Besitzer des Himmlischen Vergnügens, dieser elende Dieb, hatte sie mir gestohlen. Und dann habe ich – ein armer, wehrloser rōnin – mein Leben verloren. Alles, was mir auf der Welt geblieben war, nachdem mein Fürst mich entlassen hatte.«
Aois Gesicht verzog sich vor Leid, und ihre Brust hob und senkte sich unter den wilden, gequälten Schluchzern eines verzweifelten Mannes.
Wie hätte Aoi von Tōzawas losgebundenem Lendenschurz, den beschlagnahmten Schwertern und seinem Status als herrenloser Samurai wissen können, wenn nicht durch eine mystische Verbindung zur Welt der Geister? Ehrfurcht und Angst steigerten Sanos Verlangen, selbst als er unwillkürlich vor Aoi zurückwich. In seinen Lenden pochte es vor lustvoller Begierde. Wie es wohl sein mochte, eine Frau mit solchen Kräften zu besitzen?
»Habt Ihr den Mörder gesehen?« fragte er.
Die Antworten waren Kopfschütteln und weitere Schluchzer. »Nein. Zu dunkel …«
»Wartet. Geht noch nicht!«
Doch Aois Schluchzer verebbten; ihr Gesicht wurde wieder ernst, ruhig und weiblich, als Tōzawas Geist ihren Körper verließ.
Sano beobachtete die Verwandlung mit einer Mischung aus Enttäuschung und Erleichterung. Aoi legte die Schwerter wieder auf den Altar. Sano schalt sich seiner Undiszipliniertheit, sexuelle Erregung verspürt zu haben, wo er sich doch auf die Nachforschungen in einem Mordfall hätte konzentrieren müssen.
Sano mußte an das Debakel des gestrigen Abends denken. Er griff unter seine Schärpe und holte das Schildchen hervor, das am abgetrennten
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