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Die Rache des Samurai

Die Rache des Samurai

Titel: Die Rache des Samurai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Kopf des Opfers befestigt gewesen war, und reichte es behutsam Aoi.
    Kaum hatte das Papier ihre Handfläche berührt, schloß sie die Augen. Ihr Oberkörper schwankte hin und her, doch sie hatte sich in der Gewalt.
    »Ich sehe eine Blume mit fünf Blütenblättern«, flüsterte sie. »An die Mauer eines Schlosses gemalt, das an einem Flußufer steht.«
    Sie schlug die Augen wieder auf, und ihr Blick war voller Ehrfurcht in weite Fernen gerichtet. »Das Schloß wird belagert. Am Fuße der Mauern explodieren Bomben. Die feindlichen Truppen feuern Gewehre ab. Von Flößen aus, die auf dem Fluß schwimmen, und von hohen hölzernen Türmen am jenseitigen Ufer. Aus dem Inneren der Mauern des Schlosses schießen die Verteidiger zurück und töten viele Feinde.«
    Das flackernde Licht der Kerzen schien das Gewehrfeuer und die Explosionen in ihren dunklen Augen widerzuspiegeln. »Doch der Angreifer hat das Schloß von der Außenwelt abgeschnitten, auf daß der Hunger die Verteidiger zur Aufgabe zwingt. In dieser Nacht verläßt ein mutiger Späher das Schloß und schwimmt durch den Fluß, um Hilfe zu holen. Wird ihm Erfolg beschieden sein?«
    Die plötzliche Erkenntnis traf Sano wie ein Schlag ins Gesicht. Was Aoi schilderte, war die Schlacht von Nagashino, und die Blume mit den fünf Blütenblättern war das Wappen Oda Nobunagas. Als einer der engsten Vertrauten Odas hatte gewiß auch General Fujiwara in Nagashino gekämpft. Aois Vision stellte eine Verbindung zwischen dieser blutigen Vergangenheit, General Fujiwara und den Morden her und erhärtete somit Sanos Theorie.
    »Aber das war vor langer Zeit.« Aois Hand, die das Schildchen hielt, zitterte, als besäße das winzige Stück Papier ein riesiges Gewicht. »Jetzt sehe ich einen Mann, der eine hohe Brücke über einen breiten Fluß überquert. Er kommt an großen Holzstapeln vorbei, und an Kanälen, in denen Baumstämme treiben. Er setzt seinen Weg fort, über Felder und durch Sümpfe. Er hat einen Korb dabei, in dem sich ein Kopf befindet. Er kommt zu seinem Haus und geht hinein. Er wäscht den Kopf, treibt einen Dorn hindurch, der in einem Brett steckt, und schminkt das Gesicht des Toten.«
    Ein freudiger Blitz durchzuckte Sano, als ihm klar wurde, daß Aoi den bundori- Mörder sah. »Wo steht sein Haus?« fragte er aufgeregt.
    Aois Blicke schweiften suchend in die Ferne. »In den Sümpfen. Dort, wo zwei Kanäle ineinander münden. Es sieht aus wie … wie der Helm eines Samurai.«
    Sano sah, wie Aois Blick sich klärte; der Trancezustand fiel von ihr ab. »Wartet!« rief er flehend und beugte sich unwillkürlich zu Aoi und dem Altar vor. »Ist der Mörder jetzt dort? Könnt Ihr sein Gesicht erkennen? Und wessen Kopf ist es?«
    »Morgen …«, sagte sie seufzend und so leise, daß es kaum zu hören war. »Morgen abend wird er zu dem Haus gehen. Zur Stunde des Hundes …«
    Sie legte das Schildchen auf den Altar, und aus ihren leuchtenden Augen blickte wieder ihr eigenes Selbst, ruhig und gelassen. Sano beugte sich zurück. Nach und nach beruhigte sich sein rasender Puls. Er fuhr sich mit der Hand über das schweißnasse Gesicht. In seinen Lenden pochte der dumpfe Schmerz unbefriedigten Begehrens, und in seinem Kopf wirbelten unbeantwortete Fragen. Doch immerhin war er an weitere Informationen gelangt, die er morgen dem Rat der Ältesten vortragen konnte. Und er hatte eine neue Fährte, der zu folgen sich lohnte.
    »Morgen abend werden Hirata und ich das Haus suchen«, sagte er und mühte sich, trotz der kühlen, beinahe unnahbaren Ausstrahlung Aois Gelassenheit zu wahren. »Vielleicht gelingt es uns, den Mörder dort zu fassen.«
    »Möchtet Ihr darüber reden, was Ihr heute über die Morde herausgefunden habt?«
    In Aois leiser, heiserer Stimme lag eine unwiderstehliche Einladung. Erfreut berichtete Sano ihr von seinen Entdeckungen – zum einen, um neue Einsichten gewinnen, zum anderen, um auf diese Weise länger mit ihr zusammensein zu können. Angesichts der ungebrochenen Aufmerksamkeit und des aufrichtigen Interesses Aois berichtete Sano ihr jede Einzelheit. Obwohl sein sexuelles Verlangen verebbte, als er sich immer mehr in seine Darlegungen vertiefte, spürte er den Unterstrom der gegenseitigen Anziehung zwischen ihm und dieser rätselhaften Frau.
    »Ich glaube, General Fujiwaras Fehde ist der Schlüssel zu den Morden«, endete Sano. »Aber ich konnte keinen Grund für seine Angriffe auf Araki und Endō finden und auch keine Erklärung dafür, weshalb der

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