Die Rache des Samurai
tot zu Boden sanken.
Doch wenngleich die Streiter General Fujiwaras tapfer kämpften, waren sie an Zahl leider weit unterlegen. Es gelang ihnen nicht, in Arakis Privatgemächer vorzudringen. Zum Rückzug gezwungen, flüchtete General Fujiwara vom Haus in die verschneite Nacht zu seinem wartenden Pferd, und mit knapper Not konnte er sein Leben retten.
Der General legte den heiligen Eid ab, Araki eines Tages zu töten, doch dieser Tag kam nie. Im nächsten Monat erkrankte General Fujiwara und starb.«
Sano ließ die Schriftrolle sinken. »Offensichtlich hegte General Fujiwara einen Groll gegen Endō und Araki«, sagte er nachdenklich. »Wäre es möglich, daß der bundori- Mörder einer seiner Nachkommen ist, der die alte Fehde wiederaufgenommen hat?«
»Aber warum? Nach so vielen Jahren?« Wieder runzelte Noguchi die Stirn, daß die Falten bis hoch hinauf auf seinen geschorenen Scheitel reichten.
Sano dachte darüber nach. »Vielleicht war keinem der Söhne Fujiwaras die alte Fehde bedeutsam genug, um dafür sein Amt oder gar sein Leben zu riskieren, indem er die Morde beging. Vielleicht ist der letzte in dieser Ahnenreihe – der zur Zeit lebende Fujiwara – mutiger als seine Vorfahren. Oder er fühlt sich stärker an die Sohnespflichten gebunden. Oder er ist schlichtweg verrückt.«
»Vielleicht. Aber kann ein Groll so groß sein, daß er über Generationen hinweg reicht? Was könnten Araki und Endō getan haben, daß sie sich die dauerhafte Feindschaft des Fujiwara-Klans zuzogen?«
Sano ließ die Hand über die Schriftrolle gleiten, als könnte er auf diese Weise die Antworten daraus hervorzaubern. Ohne diese Antworten hatten seine Vermutungen keine Grundlage. Nach Sanos Theorie bestand das Bindeglied zwischen Araki Yojiemon und Endō Munetsugu darin, daß ein Mann ihrer beider Tod wollte. Diese Theorie bot eine Erklärung dafür, daß jemand Kaibara und Tōzawa hatte ermorden wollen. Doch aus den Unterlagen ging kein Motiv hervor, das deutlich genug war, die grausamen bundori- Morde – oder den Mordversuch an Sano – zu rechtfertigen, die überdies mehr als einhundert Jahre nach General Fujiwaras Tod verübt worden waren.
»Ich muß sämtliche Nachkommen General Fujiwaras ausfindig machen, die heute in Edo oder in der Umgebung der Stadt leben«, sagte er. »Sie alle sind des Mordes verdächtig, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist. Werdet Ihr mir helfen, sie zu suchen?«
Noguchi wand sich. Offenbar wollte er nicht tiefer in die Nachforschungen über die Mordfälle verwickelt werden. Sano wartete. Plötzlich – wie er es sich erhofft hatte – leuchteten die Augen des Archivars auf.
»Das wäre eine sehr reizvolle Aufgabe«, sagte Noguchi vorsichtig, doch die Begeisterung in seiner Stimme war unüberhörbar. »Die alten Stammbäume zurückverfolgen … die Volkszählungsakten im Tempelregister durchsehen … große Güte!« Voller Eifer rieb er sich die Hände.
Sano lächelte vor Erleichterung. Der Reiz, sich an dieser Jagd zu beteiligen, war letztlich doch stärker als Noguchis Furcht vor Kammerherr Yanagisawa.
»Ich weiß, es ist viel verlangt, aber könntet Ihr mir die Namen bis morgen beschaffen?« fragte Sano und stand auf, um zu gehen. »Es stehen Menschenleben auf dem Spiel.« Darunter das meine, dachte er bei sich.
Noguchis Gesicht glühte vor Eifer, als er sich erhob und seinen untersetzten Körper zur vollen, wenig beeindruckenden Größe aufrichtete. »Sofern es menschenmöglich ist, habe ich bis morgen die Namen für Euch ermittelt«, erklärte er. Ausnahmsweise zeigte er einen Hauch der stählernen Härte eines Samurai, als er sich für eine Schlacht auf jenem Gebiet rüstete, auf dem er ein Meister war.
Als Noguchi Sano hinausgeleitete, spürte dieser zum erstenmal, seit er die Nachforschungen aufgenommen hatte, das wärmende Feuer der Gewißheit. Endlich machte er Fortschritte, über die er den Shōgun, den Rat der Ältesten und Kammerherr Yanagisawa beim morgigen Ratstreffen unterrichten konnte. Er bedauerte nur, daß die unerwarteten und zeitraubenden Ereignisse dieses Abends sein Treffen mit Aoi verhindert hatten.
Bevor Sano das Tor erreichte, rief Noguchi seinen Namen. Sano drehte sich um.
» Gambatte kudasai «, sagte Noguchi feierlich. »Aber merkt Euch: Yanagisawa wird mit Sicherheit alles daransetzen, daß Ihr keinen Erfolg habt. Und der Shōgun, der keine Fehler duldet, wird seine schützende Hand von Euch fortziehen. Wenn Ihr zu hartnäckig seid, könnte es
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