Die Rache des Samurai
Schmetterlinge flatterten umher; Bienen summten. Das Wetter war so mild wie im Sommer.
In großen Abständen waren an der Straße kleine, auf Pfählen stehende Hütten errichtet, die sich über das Sumpfland erhoben. Vor einer dieser Hütten zügelte Sano sein Pferd.
»Wir werden die Leute nach der Richtung fragen«, sagte er zu Hirata.
Die Sumpfbewohner fristeten ein kärgliches Dasein. Sie fingen Fische, Aale und Frösche und sammelten wilde Kräuter, die sie in der Stadt verkauften. Schon deshalb mußten diese Leute tiefer in die Sümpfe vordringen als die Flößer und Holzarbeiter. Auf Sanos Ruf erschien eine Frau in der Hüttentür. Ihr Gesicht war von Wind und Wetter gegerbt, und sie trug einen verblaßten Kimono und ein Kopftuch. Als Sano die Frau nach dem Haus im Sumpf fragte, erwiderte sie: »Ich habe gehört, daß irgendwo in der Nähe eine Jagdhütte steht, die sich ein reicher Samurai vor langer Zeit hat bauen lassen, und die er heute nicht mehr benützt. Ich selbst habe die Hütte nie gesehen, aber ich glaube, es geht dort entlang.« In einer unbestimmten Geste wies sie mit dem ausgestreckten Arm nach Nordosten.
Sano hob die Hand, beschirmte die Augen vor der Sonne und spähte blinzelnd in die Ferne, sah aber nur das schier unendliche Sumpfland. »Wie weit ist es?« fragte er.
»Oh, ein paar Stunden Fußmarsch.«
Durch diese Auskunft ermutigt – zumal sie mit den Pferden weitaus schneller waren –, führte Sano Hirata von der Hauptstraße auf einen Abzweig, der in nordöstliche Richtung führte. Doch der Weg verästelte sich und verlief in engen Kurven und Windungen; einige Gabelungen führten zurück in Richtung Straße und stießen wieder auf den Hauptweg, so daß die Männer mitunter im Kreis ritten. Die Sonne stieg höher. Der Mittag kam und ging vorüber, und noch immer waren Sano und Hirata auf der Suche nach dem verlassenen Haus. Kein Reisender begegnete ihnen, und sie stießen auf keine weitere Hütte, an der sie nach dem Weg hätten fragen können. Sanos Besorgnis wuchs. Würden sie ihr Ziel erreichen, bevor die Stunde des Hundes kam? Dann nämlich, so hatte Aoi gesagt, würde der Mörder am Haus erscheinen.
Sano schaute zu Hirata hinüber. »Das Haus muß hier irgendwo sein«, sagte er, doch mehr, um sich selbst Mut zu machen. »Wir müßten es bald finden.«
Skepsis lag im Blick Hiratas, doch er klagte nicht, noch stellte er die Behauptung seines Vorgesetzten in Zweifel. Im stillen dankte Sano dem jungen dōshin für dessen Taktgefühl. Mit verbissener Entschlossenheit trieben sie die Pferde weiter voran.
Viel zu schnell neigte der Tag sich seinem Ende zu. Im Westen näherte die Sonne sich unaufhaltsam dem Horizont. Die flauschigen weißen Wolken wurden zuerst rosa, dann violett vor dem Hintergrund des flammenden, orangefarbenen Himmels. Das grüne Gras nahm eine stumpfgraue Farbe an. Wasservögel beendeten ihre Flüge und gingen neben den Tümpeln und Teichen nieder. Auf jedem Baum saß ein zwitscherndes Orchester aus Vögeln. Die Luft wurde kalt; aus dem Sumpfland stieg ein feiner Dunstschleier auf, der nach Fisch und verfaulenden Pflanzen roch. Bald würde es zu dunkel sein, um die Suche fortzusetzen. Und bis zum Eintreffen des Mörders, das Aoi vorhergesagt hatte, blieben weniger als drei Stunden.
Plötzlich erblickte Sano in einiger Entfernung im Norden ein Gebäude. »Da!« Er wies mit der Hand auf das Bauwerk. »Sieh nur!«
Ohne sich die Zeit zu nehmen, nach einem Pfad zu suchen, der zu dem Gebäude führte, stiegen Sano und Hirata ab, sprangen auf den nassen, sumpfigen Boden und stapften los, wobei sie die Pferde an den Zügeln führten. Das schulterhohe Gras schloß sich um die Männer; das eisige Wasser reichte ihnen bis zu den Knien, und schmatzend saugte der Schlamm an den Hufen der Pferde. Kleine Tiere huschten davon, als sie die Geräusche vernahmen. Bald schon erwies es sich als unmöglich, sich dem Haus auf direktem Weg zu nähern. Tiefe Pfützen und undurchdringliches Riedgestrüpp zwangen die Männer immer wieder zu Umwegen. Überdies wurde es der hereinbrechenden Dunkelheit wegen immer schwieriger, das Gebäude nicht aus den Augen zu verlieren. Nur ein Gedanke gab Sano Trost: Nun war es einem Meuchelmörder unmöglich, ihnen unbemerkt zu folgen.
Endlich, nach einer Stunde mühseligen Marschierens, gelangten Sano und Hirata auf festen Untergrund – an einem Zusammenfluß, an dem zwei flache, von dichtem Gras bewachsene Gräben sich zu einem breiteren Kanal
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