Die Rache des Samurai
solchen Beweis erscheint mir diese Theorie …« Lächerlich, besagte sein rascher Blick gen Himmel.
Der Shōgun runzelte die Stirn und nickte. Und Sano – der durch den Verhaltenskodex des bushidō zur unerschütterlichen und stillschweigenden Unterwerfung gegenüber seinen Vorgesetzten gezwungen war – konnte Yanagisawas Tricks und Schliche nicht offenlegen; ebensowenig konnte er den Kammerherrn davon abhalten, stets nur die Schwächen des Berichts herauszustreichen, den er, Sano, der Ratsversammlung vorgetragen hatte. Was für eine unglaubliche Ironie diese Situation doch besaß! Während Sanos Festhalten am bushidō vermutlich seinen Untergang bedeutete, war der Kammerherr durch ständige Verstöße gegen den Ehrenkodex in einen Rang unanfechtbarer Macht aufgestiegen. Hilflose Wut regte sich in Sano. Er mußte all seine Selbstdisziplin aufbringen, um das gebotene respektvolle Schweigen zu wahren.
Nun ergriff Makino, der Vorsitzende des Ältesten Staatsrates, das Wort und nahm die Kritik des Kammerherrn auf. »Ich würde gern wissen, welches Motiv den Tod General Fujiwaras um mehr als hundert Jahre überlebt haben könnte und einen seiner Nachfahren möglicherweise dazu veranlaßt hat, nun diese Morde zu begehen.« Makino lachte; es war ein häßliches Krächzen. »Dieser Gedanke erscheint mir doch sehr weit hergeholt.«
»Ja, Makino- san «, sagte der Shōgun zerknirscht. »Da muß ich Euch zustimmen.«
»Na bitte«, sagte Yanagisawa mit einem Beiklang der Endgültigkeit, warf Sano einen triumphierenden Blick zu, zog an seiner Pfeife und blies den Rauch aus.
Alle Köpfe drehten sich Sano zu. Auf den meisten Gesichtern lag jetzt ein feindseliger Ausdruck; andere Mienen zeigten Traurigkeit oder Mitleid, doch niemand kam Sano zu Hilfe. Die Angst vor Bestrafung hielt alle Versammelten in Kammerherr Yanagisawas Bann. Sano schnürte das Entsetzen die Brust zusammen, als die Versammlungshalle sich vor seinem geistigen Auge in ein Schlachtfeld verwandelte. Beinahe konnte er den scharfen Geruch von Schießpulver riechen und den Feuerschein brennender Schlösser und Burgen sehen. Yanagisawa hatte ihm offen den Krieg erklärt, und die mächtigsten Männer des bakufu zählten zu seinen Verbündeten.
»Überdies«, fuhr Yanagisawa fort, »hat sōsakan Sano eine höchst bedenkliche Charakterschwäche offenbart.« Nachdem er den Shōgun auf seine Seite gezogen hatte, zeigte der Kammerherr seine Verachtung Sanos nun ganz offen. »Er hat die Hilfe der Polizei zurückgewiesen und auf eigene Faust gearbeitet. Und warum? Weil er diesen Fall allein lösen wollte, um den Ruhm mit niemandem teilen zu müssen. Offensichtlich ist ihm die Selbstverherrlichung wichtiger als die Rettung von Menschenleben.«
Sano konnte sich nicht mehr zurückhalten. »Das ist eine Lüge!« stieß er hervor. »Die Polizei hat den Befehl erhalten, mir keine Hilfe zu gewähren. Und …«
Totenstille breitete sich im Saal aus. Die fünf Ältesten drehten verlegen die Teeschalen und Pfeifen in den Händen. Eine unbehagliche Spannung hatte sich über die Versammlung gelegt. Der Shōgun starrte düster zu Boden. Nur Kammerherr Yanagisawa schaute Sano an.
Und lächelte. Zu spät erkannte Sano den Grund. Das Entsetzen der Ältesten darüber, daß er seinen Vorgesetzten der Lüge bezichtigt hatte, war nun größer als ihr Interesse, die Wahrheit zu erfahren. Überdies hatte Sano die Gunst Tokugawa Tsunayoshis verloren, der als Regent und kultivierter, gebildeter Mann direkte Herausforderungen und offene Streitigkeiten verabscheute. Yanagisawa hatte Sano einen Köder hingeworfen, und Sano war Hals über Kopf in die Falle gegangen.
Als wäre nichts geschehen, wandte Kammerherr Yanagisawa sich an den Shōgun. »In Anbetracht der Unfähigkeit sōsakan Sanos empfehle ich, ihm ein anderes Amt zuzuweisen, Hoheit. Ein Amt, bei dem keine so große Gefahr besteht, daß er die innere Sicherheit des Landes gefährdet.«
Tokugawa Tsunayoshi furchte die Brauen. »Zum Beispiel?«
Verurteilt mich noch nicht! schrie Sano innerlich auf und preßte die Zähne zusammen, um einen weiteren Ausbruch zu verhindern, der alles noch schlimmer gemacht hätte.
Makino räusperte sich; es war ein häßlicher, röchelnder Laut. »Angesichts der vielen Schwierigkeiten auf der Insel Sado könnten wir dort einen neuen Verwalter gebrauchen.«
Yanagisawas dunkle Augen funkelten vor boshafter Freude. »Ein ausgezeichneter Vorschlag. Was meint Ihr dazu, Hoheit?«
Eine eisige Hand packte
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