Die Rache des Samurai
folgte eine zweite. Weitere Schreie ertönten; Staub wirbelte auf, als Männer und Pferde tot zu Boden stürzten. Der bundori -Mörder stieß ein triumphierendes Lachen aus. Fürst Oda hatte den Schützen befohlen, in Salven zu feuern, sobald der Feind näher kam, um auf diese Weise die Nachteile der Arkebusen wettzumachen – die kurze Reichweite der Waffen und die lange Zeit, die das Nachladen erforderte. Auf diese Weise hatte Fürst Oda ein neues Zeitalter der Kriegsführung eingeleitet.
Dann erschallte hinter den Reihen des Heeres eine Kriegsfanfare. Inmitten der Hauptstreitmacht galoppierte der bundori -Mörder hinter der Palisade hervor. Er brüllte seinen Männern Befehle zu, spornte sein Kriegsroß an und schwang sein Schwert. Unter seinen Streichen fielen die feindlichen Krieger wie die Ähren unter der Sense des Schnitters, und bald türmten sich die Leichen auf dem Schlachtfeld. Und immer wieder donnerten die Arkebusen, mähten die Takeda-Krieger nieder. Als die Besatzung des Schlosses Nagashino einen Ausfall machte und aus den Mauern hervorstürmte, um die fliehenden Takeda von hinten anzugreifen, war die Stimme des bundori- Mörders heiser vom Geschrei und kippte vor wilder Freude über.
Mit seiner Hilfe hatte Fürst Oda die Takeda bezwungen, seine gefährlichsten Rivalen. Jetzt stand dem Kriegsherrn bei seinem großen Ziel, das ganze Land zu unterwerfen, nichts und niemand mehr im Weg.
17
D
er Zōjō-Tempel war vor fast einhundert Jahren als Familientempel der Tokugawa erbaut worden. Die ausgedehnte Anlage befand sich in Shiba, genau im Süden von Edo. Die Ländereien der dreitausend Mönche und ihrer Bediensteten, die Hallen, Pagoden, die Wohn- und Schlafgebäude, die Grabstätten und Gärten schmiegten sich zwischen Hügeln, die von dichtem Kiefernwald bedeckt waren.
Sano verspürte ein intensives Gefühl der Heimkehr, das auch die späte Stunde und die ungewöhnlichen Umstände seines Besuches nicht minderten, als er und Hirata sich dem Zōjō-Tempel näherten. Wie andere Bürger Edos, hatte auch Sano in diesem Tempel gebetet und an religiösen Feierlichkeiten teilgenommen. Überdies hatte er neun Jahre seines Lebens an der hiesigen Tempelschule für Jungen verbracht. Er kannte jedes Stück der Landstraße, über die er und Hirata nun ritten, und hielt nach vertrauten Orientierungspunkten Ausschau: da war der Iigura-Shinmei-Schrein; dort war die Kurve, die hinter dem Heiligtum folgte. Jeden Augenblick mußten sie die Brücke erreichen, die über den Sakuragawa-Kanal führte, und dann zum Haupttor des Zōjō-Tempels gelangen.
Während Sano über die vom Mondlicht erhellte Straße ritt, dachte er voll ängstlicher Erwartung daran, was ihn diesmal im Tempel erwartete – nicht die Willkommensgrüße seiner Jugendfreunde und Lehrer, sondern eine weitere Leiche, eine weitere gräßliche Trophäe. Ein neues Opfer des Mörders, den er in dieser Nacht hatte festnehmen wollen.
Die Männer bogen um die Kurve. Plötzlich rief Hirata, der neben Sano ritt: »Seht nur!«
Flackernde Laternen aus Stein erhellten das zweigeschossige, hoch aufragende Haupttor. Dahinter markierten weitere steinerne Laternen den Verlauf der steilen Stufen, welche die Hügelflanke hinauf zum zentralen Bereich der Tempelanlage führten. Hoch über der Straße waren die Dächer der verschiedenen Tempelgebäude zu sehen. Von Lampen in den Höfen erhellt, sahen sie wie Schiffe aus, die auf dunklen Wogen trieben. Die Mönche hatten den Tempel erleuchtet, als wollten sie irgendeine seltsame nächtliche Feierlichkeit begehen.
Doch der Empfang, der Sano und Hirata zuteil wurde, als sie ans Tor gelangten, war alles andere als feierlich. Drei wachsame Mönche – in wallende, safrangelbe Gewänder gekleidet und mit Speeren bewaffnet – kamen ihnen entgegen.
»Der bundori- Mörder hat im Kloster zugeschlagen, nicht wahr?« fragte Sano den Führer des Wachtrupps.
Doch der Mönch verbeugte sich nur und erwiderte: »Der ehrwürdige Abt erwartet Euch, sōsakan-sama .« Die Worte des Mannes erhärteten Sanos Befürchtung. Der Mönch hatte offensichtlich die Anweisung, seinem Vorgesetzten das Reden zu überlassen. »Wenn Ihr mir bitte folgen würdet.«
Einer der beiden anderen Mönche kümmerte sich um die Pferde, während der Sprecher Sano und Hirata in das schummrig beleuchtete Wachhaus führte. Als der dritte Mönch sich auf den Weg machte, den Abt zu holen, warteten Sano und Hirata unter den wachsamen Blicken der Statuen von Manjusri
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