Die Rache des Samurai
safrangelben Umhangs umrahmte eine blutig klaffende Fleischwunde an der rechten Körperseite. Unter dem hochgezogenen Saum des Mönchsgewands ragten die Schenkel hervor, die von kleineren Schnittwunden bedeckt waren. Der Mörder hatte seinem Opfer die linke Hand abgehackt; sie lag ein paar Schritte von der Stelle entfernt, wo der Tote zu Boden gefallen war. Im Unterschied zu den anderen Opfern hatte der Mönch sich zur Wehr gesetzt. Noch immer umklammerte seine blutige rechte Hand den Speer, den er vergeblich geschwungen hatte, um die Attacke des Angreifers abzuwehren. Weitere Blutflecken auf dem Kies ließen den Bereich erkennen, in dem der Zweikampf stattgefunden hatte.
Sano schaute sich die Trophäe gerade lange genug an, um den Anblick des mit Wangenrot geschminkten Gesichts und des quadratisches Brettes in sich aufzunehmen, die davon kündeten, daß hier tatsächlich der bundori -Mörder am Werk gewesen war, der das Namensschild auf Bruder Endōs rasierten Scheitel genagelt hatte. Sano betrachtete den Schauplatz des Mordes mit einem flauen Gefühl im Magen, das nur zum Teil darauf zurückzuführen war, daß er sich die Schuld daran gab, diese Tat nicht verhindert zu haben.
Hinter ihm erklang plötzlich Hiratas Stimme. Er sprach die besorgte Frage aus, die Sano durch den Kopf ging. » Sōsakan-sama , warum hat die Tempelwächterin des Shōgun uns zu dem Haus in den Sümpfen geschickt, und nicht hierher?«
»Das weiß ich nicht, Hirata«, erwiderte Sano müde.
Und er würde es so lange nicht wissen, bis er Aoi wiedersah. Doch zum erstenmal bezweifelte er die übersinnlichen Kräfte dieser Frau, die sich sein Vertrauen erworben, seine Lust erregt und sein Innerstes berührt hatte.
»Such die Gegend ab und stelle fest, ob du irgendwelche Spuren von dem Mörder finden kannst«, sagte er zu Hirata. »Fußabdrücke. Oder Blut – es könnte sein, daß der Mönch ihn verwundet hat.« Bruder Endōs Speer war mit Blut bedeckt, das möglicherweise nicht nur von ihm, sondern auch von seinem Mörder stammte. »Vielleicht hat der Täter eine Fährte hinterlassen, aus der wir ersehen können, auf welchem Weg er den Tempel verlassen hat.«
Während Hirata sich auf die Suche machte und in immer weiteren Kreisen den Schauplatz des Mordes umrundete, ging Sano zum Abt hinüber, der in einiger Entfernung auf dem Hof wartete. »Laßt Bruder Endōs Leichnam bitte in die Leichenhalle von Edo bringen«, sagte er. »Außerdem muß ich jetzt mit jedem Mitglied Eurer Bruderschaft sprechen. Ich möchte gern mit dem Mann beginnen, der den Toten gefunden hat.«
Ein ungläubiges Lächeln umspielte die Mundwinkel des Abts. »Das dürfte kaum nötig sein. Ich kann Euch alles sagen, was Ihr wissen wollt. Die Nachtwache hat Bruder Endōs Leichnam entdeckt. Die Brüder haben erklärt, sie hätten niemanden gesehen und nichts Außergewöhnliches bemerkt – weder bevor sie den Toten fanden noch hinterher. Alle anderen Brüder waren in ihren Unterkünften, und dort sind sie noch immer, sicher und wohl behütet. Meine Gehilfen und ich haben sie allesamt befragt. Keiner von ihnen hat etwas gesehen, das mit dem Mord oder dem Mörder zu tun haben könnte. Und Ihr glaubt doch gewiß nicht, daß einer von uns der Täter ist?«
»Nein«, gab Sano zu, zumal er keinen Beweis vorbringen konnte, daß zwischen dem Kloster und den anderen Morden ein Zusammenhang bestand.
Die Bereitschaft des Abts, ihm zu helfen, erkannte Sano, ging nicht so weit, als daß er ihm die eigenständige Befragung der Brüder erlaubt hätte. Denn ein solches Verhör hätte die mönchische Zurückgezogenheit gestört und die Amtsgewalt des Abts als geistiges Oberhaupt des Klosters untergraben. So sehr es ihm auch gegen den Strich ging, jenem Mann zu widersprechen, den er verehrte: Sano mußte mit den Mönchen reden, wollte er seine Erfolgsaussichten nicht gefährden.
»Ich muß darauf bestehen, daß Ihr die Brüder zu mir bringt«, sagte er. »Einen nach dem anderen. An einen Ort, an dem ich ungestört mit ihnen reden kann.«
Die düstere, ablehnende Miene des Abts zwang Sano, seine Bitte mit einer verhüllten Drohung zu unterstreichen. »Die Morde haben die Bewohner Edos in Schrecken versetzt. Es besteht die Gefahr, daß die Zustände in der Stadt noch schlimmer werden, falls der Mörder nicht schnellstens gefaßt wird. Ich frage mich, welche Auswirkungen es auf die Gläubigen hätte, würden sie erfahren, daß ihr geistiges Oberhaupt Recht und Gesetz behindert hat.«
Sano
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