Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rache des Samurai

Die Rache des Samurai

Titel: Die Rache des Samurai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
Vom Netzwerk:
belastenden Beweisstücke verblaßte, als seine Anspannung wuchs. Wann würde der bundori -Mörder erscheinen? Und was würde dann geschehen? Konnten sie ihn rasch festnehmen, oder kam es zum Kampf? Würde er, Sano, wieder einen Menschen töten müssen? Oder lauerte ein zweiter Meuchelmörder in den Sümpfen und wartet auf eine günstige Gelegenheit zum Angriff? Die Ungewißheit machte das Warten zur Qual.
    Als nichts geschah, wurden aus der Ungewißheit Zweifel. Selbst wenn Sano einen großen zeitlichen Spielraum veranschlagte, was Aois Schätzung betraf, mußte er sich schließlich doch eingestehen, daß die Stunde des Hundes vorüber war. Was, wenn Aoi sich geirrt hatte? Was, wenn der bundori -Mörder gar nicht erschien? Dann hatte Sano einen der fünf kostbaren Tage vergeudet, die ihm noch blieben, seinen Auftrag zu erfüllen und seiner Familie Ehre zu machen, wie er es dem sterbenden Vater versprochen hatte. Und was war, wenn es Noguchi nicht gelang, General Fujiwaras Nachkommen ausfindig zu machen und eine Verbindung zwischen ihnen und den Morden herzustellen?
    Die Stunden dehnten sich endlos. Nachdem Sano seinen vielleicht einhundertsten Gang zur Tür gemacht und hinausgespäht hatte, schätzte er – nach der Stellung des Mondes am Himmel –, daß es fast Mitternacht sein mußte. Da der Mörder aus Edo kam – Aois Vision deutete jedenfalls darauf hin; denn sie hatte ihn die Ryōgoku-Brücke überqueren sehen –, mußte er die Stadt verlassen haben, bevor die Tore geschlossen wurden, und dies war vor zwei Stunden der Fall gewesen. Und da der Mörder sich in den Sümpfen besser auskannte als Sano und Hirata, würde er schneller zum Haus gelangen. Der Täter hätte inzwischen eintreffen müssen .
    Das schreckliche Gefühl, daß alles vergebens gewesen war, erfaßte Sano. Der bundori- Mörder kam nicht. Sano stand draußen vor der Tür, die Arme zum Schutz gegen die Kälte vor der Brust verschränkt, und starrte den Pfad hinunter, während der scharfe, eisige Wind seine letzten Hoffnungsfunken davonwirbelte.
    Nachdem eine lange Zeitspanne verstrichen war, wandte Sano sich um. Er wollte zurück ins Haus, wo er und Hirata jetzt wenigstens ein Feuer entfachen konnten, damit sie die letzten Stunden bis zum Tagesanbruch warm und schlafend verbringen konnten, um anschließend nach Edo zurückzukehren.
    Plötzlich hob Sano den Kopf und lauschte verwirrt und aufgeschreckt den fernen, tiefen Glockenschlägen, die der Wind aus der Stadt bis hierher ins Sumpfland trug.
    Hirata kam aus dem Haus geeilt und blieb neben Sano stehen. »Das ist die Glocke des Zōjō-Tempels«, sagte er. »Aber warum läuten die Priester sie zu dieser Stunde?«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte Sano. Üblicherweise wurden die Tempelglocken nur geläutet, um den Beginn buddhistischer Zeremonien zu verkünden, die zu festgesetzten Tages- und Jahreszeiten stattfanden. Nur selten wichen die Priester von dieser Regel ab – zum Beispiel, um ein außergewöhnliches Ereignis zu feiern, oder um bei Feuersbrünsten, Taifunen, Erdbeben oder einer anderen Katastrophe Alarm zu schlagen.
    Einer Katastrophe wie einem Mord?
    Sanos und Hiratas Blicke trafen sich in plötzlichem, unausgesprochenem Begreifen, denn beide hegten die gleiche Vermutung, warum der bundori- Mörder nicht wie erwartet erschienen war. Sie stürmten ins Haus, rafften ihre Ausrüstung zusammen und beluden hastig die Pferde für einen mitternächtlichen Ritt zum Zōjō-Tempel.

16

    D
    ie Glocke des Zōjō-Tempels war längst verklungen, doch im Geiste hörte der bundori- Mörder noch immer ihre unerbittliche Stimme, als er die dunkle Straße hinunterstürmte, um in den Schutz seiner Behausung zu gelangen.
    Kein Entrinnen , dröhnten die eingebildeten Glockenschläge. Kein Entrinnen !
    Schwitzend stieß der Mörder die Tür einer einsamen Hütte auf, die in einem abgeschiedenen Dorf in der Nähe des Tempels stand; er huschte ins Innere und schob den Riegel vor. In der Dunkelheit schleuderte er sein Schwert zu Boden und riß sich die blutdurchtränkte Kleidung vom Leib. Dann warf er sich auf seine Schlafpritsche. Angst und Entsetzen überkamen ihn wie ein scheußlicher Anfall von Übelkeit. Stöhnend wälzte er sich auf den Decken und schlug um sich. Diese Nacht, die ihm einen seiner größten Triumphe hatte bringen sollen, war mit einer Katastrophe geendet.
    Heute nacht hatte er seinen vierten Mord begangen. Von jener Zuversicht erfüllt, die aus Übung, Gewohnheit und dem Gefühl der

Weitere Kostenlose Bücher