Die Rache des schönen Geschlechts
den Kopf zu ziehen, die Wärme und den Geruch der noch warmen Laken zu spüren, die Augen zu schließen und wegen Erreichens der Müdigkeits-, Überdruss- und Ertragensgrenze alles aufzukündigen.
Im Bad betrachtete er sich im Spiegel und war sich augenblicklich unsympathisch. Wie hielten ihn die Leute nur aus, mochten ihn manchmal sogar gern? Er mochte sich nicht, das war klar. Eines Tages hatte er in einem erbarmungslos lichten Augenblick über sich nachgedacht. »Ich bin wie eine Fotografie«, hatte er zu Livia gesagt. Livia hatte ihn irritiert angesehen. »Ich verstehe nicht, was du meinst.«
»Ich existiere, weil es ein Negativ gibt.«
»Ich verstehe immer noch nicht.«
»Lass es mich erklären: Ich existiere, weil es ein Negativ gibt, das aus Verbrechen, Mord, Gewalt besteht. Wenn dieses Negativ nicht existierte, könnte mein Positiv, also ich, auch nicht existieren.«
Sonderbarerweise fing Livia an zu lachen. »Erzähl mir doch nichts, Salvo. Das entwickelte Negativ eines Mörders stellt keinen Polizisten dar, sondern den Mörder selbst.«
»Das war eine Metapher.«
»Sie stimmt aber nicht.« Ja, die Metapher stimmte nicht, aber ein Körnchen Wahrheit steckte drin.
Als er ins Büro kam, rief er sofort Galluzzo zu sich. »Ich gratuliere.«
»Wozu?«
»Zu deiner eigennützigen Nächstenliebe. Du hast mich vollgelabert, wie Leid Grazia dir tut, du hast sie bei dir aufgenommen, weil das arme Mädchen nicht wusste, wohin mit sich, und das alles nur, damit dein Schwager seinen Knüller landen konnte.« »Das ist nicht wahr, Dottore.«
»Streitest du ab, dass das deine Küche war?«
»Nein.«
»Dass die Kleider, die Grazia trug, deiner Frau gehören?«
»Nein.«
»Siehst du? Du bist gelinde gesagt ein Heuchler, einer, der das Vertrauen anderer ausnutzt.«
»Nein, Dottore, ich konnte es meiner Frau einfach nicht abschlagen. Sie hat ihrem Bruder erzählt, dass ich das Mädchen zu uns nach Hause gebracht habe, der hat's nicht geglaubt und hat so lange rumgemacht und rumgeredet. Irgendwann hat mir meine Frau dann gedroht, dass sie Grazia nicht länger im Haus behält, wenn ich ihrem Bruder nicht den Gefallen tue, und ich.«
»Hau ab und schick Fazio rein.«
»Ja. Bitte verzeihen Sie.«
Statt Fazio erschien Catarella. »Dottori, der Fazio ist nicht zu finden, weil er nicht da ist. Aber der Signore Cuglia sagt, dass er mit Ihnen persönlich selber reden will.«
»Ist gut, stell ihn durch.«
»Das geht nicht, Dottori, weil der Signor Cuglia ist persönlich selber hier.«
»Lass ihn rein.«
Signor Cuglia war Aguglia, der Leiter des Supermarktes. »Commissario, wissen Sie noch, dass ich Ihnen gestern sagte, Dindo sei nicht zur Arbeit gekommen? Heute Morgen ist er auch nicht erschienen.«
»Ich wüsste nicht, inwiefern wir.«
»Warten Sie. Als er nicht kam, bin ich zu ihm nach
Hause gefahren. Er lebt allein in einem Dreckloch unter der Treppe, weil er nicht bei seinem Vater im oberen Stock wohnen will. Ich habe geklopft, aber es kam keine Antwort. Da bin ich zum Vater raufgegangen, der hat einen Zweitschlüssel. Wir haben die Tür geöffnet. Die Kammer war leer, ein Schweinestall, glauben Sie mir. Der Vater hat Dindo seit mindestens drei Tagen nicht gesehen. Ich hab auch die Nachbarn gefragt, aber niemand wüsste was. Was soll ich denn jetzt machen?«
Montalbano wurde langsam sauer. Wieso erzählte Aguglia ihm diese Geschichte, die ihm als Kommissar doch scheißegal sein konnte?
»Nehmen Sie sich einen anderen Gehilfen«, sagte er kalt. »Das Problem ist, dass Dindo mit dem Moped des Supermarkts verschwunden ist. Er darf es benutzen, um zur Arbeit zu fahren.«
»Benimmt sich Dindo zum ersten Mal so?«
»Ja. Er denkt und handelt auch manchmal wie ein Kind, aber was die Arbeit betrifft, kann ich ihm nichts vorwerfen.«
»Dann würde ich Ihnen vorschlagen, noch einen Tag mit der Anzeige zu warten. Sie haben selbst gesagt, dass Dindo wie ein Kind ist. Vielleicht war er hinter einem Schmetterling her und hat sich verirrt.«
Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, kamen ihm Zweifel. Gab es überhaupt noch Kinder, die hinter Schmetterlingen herrannten?
»Zu Lebzeiten«, sagte Fazio und setzte sich vor den Schreibtisch, »war Gerlando Piccolo echt ein Dreckskerl.«
»Das heißt?«
»In der Stadt pfeifen es die Spatzen von den Dächern,
Dottore. Wer immer Piccolo erschossen hat, man wird ihm ein Denkmal auf der Piazza errichten müssen. Wenn du das Pech hattest, dir Hundert leihen zu müssen, hat er
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